Page 14 - Taxikurier Mai 2023
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            ➔ NÄHER AM HIMMEL





           Pfarrer Rainer Maria Schießler – Von Birgit Heller



           Pfarrer Rainer Maria Schießler (St. Maximilian) ist stolz auf seinen gelben Taxischein, den er im kommenden Jahr wieder
           verlängern wird. Er ist dankbar für die Erfahrungen, die er als Taxifahrer machen durfte und zieht Parallelen zwischen
           dem Taxi und dem Beichtstuhl. Der wohl bekannteste katholische Pfarrer der Landeshauptstadt München erinnert sich sehr
           gern an seine Zeit als Taxifahrer in München. Diese ungewöhnliche Kombination von Taxifahrer und Pfarrer in einer Person
           hat ihren Ursprung in der  Abiturzeit von Pfarrer Schießler.


           Pfarrer Rainer Maria Schießler    Seine Facharbeit wurde in dieser Woche   sich nicht aufs Beichten vorbereiten. Das
                                             nicht fertig, aber der junge Abiturient   geht nicht, abgesehen vom Beichtgeheim-
                                             machte sich Gedanken, wie er seinen   nis ist jede Beichte anders – eben wie auch
                                             Traum, Priester zu werden, Realität werden   jede Taxifahrt anders ist. Ein guter Taxler
                                             lassen konnte. Sein Beichtvater riet dem   genau wie ein guter Beichtvater sollte auch
                                             jungen Mann, es auszuprobieren. Ein Satz,   mal eine Schwäche zugeben können. Ein-
                                             der ihn ein Leben lang nicht loslassen soll-  fach zuzugeben, dass es Situationen gibt,
                                             te, hat Hans Kammerlander, der Bergsteiger,   in denen man nicht mehr weiß, was man
                                             einmal gesagt: „Das wichtigste am Berg ist   sagen soll und keinen Rat mehr weiß, das
                                             die Entscheidung, umzukehren.“ Als 1981   ist ähnlich.“
                                             seine Mutter starb, konnte er es mit seinem
                                             Gewissen nicht vereinbaren, die Geborgen-    Noch heute denkt er dank-
                                             heit des Klosters zu genießen, wenn für den   bar an seine Ausbildung bei
                                             Vater und die anderen Familienangehörigen    der Taxi-München eG zurück.
                                             die Welt zusammenbrach.                      Der Ausbilder war mit gan-
                                                                                          zem Herzen dabei und über-
                                             Sein Bruder war bereits heimlich als Taxi-   trug diese Leidenschaft auf
                                             fahrer unterwegs. Heimlich deshalb, weil     die angehenden Taxler. Da
           1960 in München geboren, wollte er 1980   der Vater um den Sohn Angst hatte. Es war   stand der Dienstleistungsgedanke ganz
           sein Abitur am Wittelsbacher-Gymnasium   die Zeit, in der viele Taxler überfallen wur-  oben. Dass Dienstleistung etwas mit Dienen
           ablegen. In Vorbereitung dessen suchte er   den. Die Sorge war also nicht ganz unbe-  zu tun hat, wurde da vermittelt, auf saube-
           ein Jahr davor einen ruhigen Ort, an dem    rechtigt. Da Pfarrer Schießler damals das   re und angemessene Kleidung Wert gelegt
           er seine Facharbeit schreiben konnte. Seine   Priesterseminar finanzieren musste, war es   und den Fahrgast wie einen Staatsgast
           Mutter, eine gebürtige Freilassingerin,   naheliegend, dass er dem Beispiel des drei   zu behandeln, ist bis heute in Erinnerung
           kannte in Laufen das Kloster der Kapuziner   Jahre älteren Bruders folgte und anfing,   geblieben und der dringende Rat, immer
           und riet dem Sohn, dort sein Glück zu ver-  Taxi zu fahren. So machte er 1981 den Taxi-  freundlich und aufmerksam zu sein. Andere
           suchen. Diese Woche im Kloster war für den   schein, den er immer wieder verlängern   Ratschläge waren auch wichtig, wie z. B.
           jungen Mann das Schlüsselerlebnis, das sein   ließ. So konnte er nicht nur sein Studium   auf dem Straßenstrich nicht mit den Damen
           ganzes Leben prägen sollte. Er sagt selbst,   finanzieren, sondern auch einen kleinen   eine zu rauchen, denn das könnten die Zu-
           dass er gar nicht wusste, dass es so ein al-    finanziellen Grundstock schaffen. Aber die   hälter falsch verstehen. Da Pfarrer Schießler
           ternatives Leben gibt. Die sogenannte 68er   finanzielle Seite wurde für ihn schnell ne-  immer nachts gefahren ist, war ihm das
           Bewegung war für ihn nicht interessant. Er   bensächlich, da er mit jeder Taxifahrt mehr   Nachtleben Münchens auch nicht fremd.
           orientierte sich immer an Menschen, die an-  merkte, was  diese Tätigkeit für seine beruf-    Berührungsängste hatte er nie. Noch heute
           ders leben. Diese Faszination für ein klös-  liche und persönliche Entwicklung bedeute-  kann er sich erinnern, dass sein Ausbilder
           terliches Leben, auch die zölibatäre Lebens-  te. Für ihn, so sagt er selbst, hat das Taxi-  ihm geraten hatte, dass er bei einer Fahrt
           weise, war für ihn normal. Die Möglichkeit   fahren die größte Ähnlichkeit mit dem   zum „Leierkasten“ das Geld an der Tür ab-
           zu haben, ein Leben in dieser für ihn emp-  Beichtstuhl. „Du stehst am Stand, die Tür   holen muss. Auch der Spruch „Du kommst
           fundenen Freiheit leben zu können, nichts   geht auf, es kommt jemand rein. Ich weiß   als Fremder und gehst als Freund“ ist ihm
           haben zu müssen und doch so reich und   nicht, wer er ist, wohin er will, woher er   bis heute im Gedächtnis geblieben und er
             sicher zu sein, war eine elementare Er-  kommt, wie die Reise ist, wie er gerade   scheut sich auch nicht, diesen als Zitat in
           kenntnis für ihn. Dabei spielte die Kirche   drauf ist … Du kannst Dich aufs Taxifahren   Ansprachen und Predigten zu benutzen. Für
           selbst, der Pabst oder die Familie keine   vorbereiten mit Ortskundeprüfung, techni-  seine Kommilitonen war er wohl der best
             Rolle. Für ihn war diese Lebensweise der   scher Ausbildung usw., aber nicht auf die   informierteste Mitstudent in Sachen Nacht-
           Weg, der sein Leben bestimmen sollte.  persönliche Begegnung. Genauso kann man   leben Münchens des Jahrgangs. Am Morgen




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