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Adressen aus dieser Epoche sind die Maria- rik der Gebrüder Hesselberger ihre Energie se Gyßlingstraße 12 unter Denkmalschutz
Josepha-Straße 5, 10, 14 und 16; die Markt- aus der Wasserkraft. Eine Mieterin war die steht. Im Jahr 1847 arbeiteten bereits 500
straße 6; der Nikolaiplatz 2 und 3; die Ni- Färberei und chemische Waschanstalt Menschen bei Maffei und bis 1929 waren es
kolaistraße 16 und 17; Seestraße 2, 3, 4, 16 Götz-Guilini, die ihre ebenfalls giftigen 3.600 geworden. Die Produktion endete
und 18; Wagnerstraße 8; die Werneckstraße Abwässer direkt in den Bach leitete. Bis zwar im Jahr 1933, doch die Gebäude waren
7, 9, 16, 18 sowie 27. Und nicht zu verges- 1935 existierten die Firmen, dann gingen erst 1952 vollständig abgebrochen. Gärtne-
sen die Werneckstraße 24, nämlich das 1715 ihre beiden Gebäude in andere Nutzung rische Maßnahmen verwandelten die brach-
bis 1718 nach Plänen von Johann Gunezrai- über. Heute tragen die erhalten gebliebenen liegende Ödnis derart, dass man heute von
ner (1692–1763, Gunezrainerstraße von Gebäude die Adresse Isarring 11. Im südli- ihrer industriellen Nutzung überhaupt nichts
1897) erbaute Schloss Suresnes. chen Teil haben sich verschiedene Unterneh- mehr merkt. Renaturiert wurden auch die
men niedergelassen, etwa das mit der vom durch die intensive industrielle Nutzung ver-
Mittleren Ring her auffälligen Aufschrift dreckten und vergifteten Bäche des Engli-
Städtische Bausubstanz „OSKA“, während im nördlichen Teil der schen Gartens. Ein Straßenname aus der Zeit
Ukrainische Schulverein „Ridna Schkola“ nach der Eingemeindung Schwabings erin-
Aus der Zeit vor 1890 stammen auch bereits untergebracht ist. nert an diese Vergangenheit. Die Straße mit
Gebäude, die den beginnenden städtischen dem Namen Hirschau erhielt 1903 ihre neue
Einfluss aus München dokumentieren und in Bezeichnung Gyßlingstraße mit der Erklä-
der Liste der Baudenkmäler aufgeführt wer- Loden rung: „Zu Ehren des verstorbenen, verdien-
den: Zwei für ein Dorf untypische Villen an ten Vorstandes und Direktors des Dampf-
der Biedersteiner Straße 2 und 19, letzteres Auf einer künstlichen Insel des Schwabinger kessel-Revisions-Vereines Walter Gyßling,
das Gohren-Schloss. Und dann noch die Baches siedelte sich 1870 die Münchner Lo- geboren 5. Mai 1836 in Mauchenheim, ge-
Mietshäuser an der Occamstraße 3, 4, 6, 8, denfabrik Johann Georg Frey mit der heuti- storben 23. Juli 1903 in München“. Nach
und 17. gen Adresse Osterwaldstraße 10 (bis 1890 dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) deutete
Auenstraße) an, um das Wasser als Kraft- sich in den 1920er Jahren an, dass die gro-
quelle, aber auch zum Fortspülen ihrer Fär- ßen Zeiten der Firma Maffei vorbei waren
Der Englische Garten als berei-Abwässer zu nutzen. Die Fabrik wurde und sich eine Fusion mit der Münchner Lo-
Industrie-Revier mit dem wachsenden Erfolg der Firma immer komotivfabrik Krauss anbahnte. Im Jahr
weiter bis zu ihrem heutigen Umfang ausge- 1931 fusionierten die Firmen und verlegten
Die Hirschau als Teil des Englischen Gartens baut, so dass sie schließlich mit 35.000 ihre Produktion 1933 in das neue Werk in
gehörte seit 1818 zur Gemeinde Schwabing. Quadratmetern die gesamte Insel ausfüllte. Allach. Am Ende der Gyßlingstraße haben
Im Englischen Garten gab und gibt es eini- Auf dem Gelände wurden seit 1927 nicht sich bis heute einige Werkswohnungen er-
ge Bäche mit starker Fließgeschwindigkeit, mehr nur wasserabweisende Stoffe für die halten. Abgesehen davon erinnert lediglich
die sich industriell als Kraftquelle aus- Weiterverarbeitung hergestellt, sondern der Ernst-Penzoldt-Weg von 1966 (benannt
nutzen ließen. Die beiden Straßennamen auch fertige Kleider. Während des Dritten nach dem Münchner Dichter, 1892–1955) an
Maffei straße und Freystraße bezogen sich Reiches fertigte Lodenfrey Uniformen und die dortige industrielle Vergangenheit – aber
auf zwei Fabriken, die sich im Englischen man bezeichnete sich selbst als „Kleider- nur indirekt: Er verläuft auffällig schnurge-
Garten etabliert hatten, nämlich die Textil- kammer für den braunen Soldaten, für Hit- rade durch die Grünanlagen zur Schwe-
firma Loden-Frey an der Osterwaldstraße ler-Jungens und Hitler-Mädels“. Seit den denstraße, und zwar weil er der Trasse des
und die Maschinen- und Lokomotivenfabrik 1980er Jahren wurde die Produktion schritt- 1902 verlegten und 1950 wieder entfernten
Maffei an der Gyßling straße, von der heute weise ins Ausland verlegt, so daß die Industriegleises der Fabrik folgt, das zum
abgesehen vom Tivoli-Kraftwerk nichts Münchner Tracht nunmehr aus Ungarn, Ru- ehemaligen Schwabinger Bahnhof an der
mehr übrig geblieben ist. Dieser bedeuten- mänien oder der Türkei stammt, sehr zum jetzigen Berliner Straße führte. Davor muss-
de industrielle Schwerpunkt, der seine Ener- Missfallen oberbayerischer Traditionalisten. ten die Lokomotiven auf Spezialfuhrwerken,
gie aus den Wasserläufen bezog – anfangs Dadurch konnten die Gebäude für eine neue gezogen von 30 bis 40 Pferden, wegtrans-
mechanische Energie durch Wasserräder, Nutzung frei werden und beherbergen jetzt portiert werden.
später elektrische Energie durch Turbinen –, verschiedene Dienstleister, hauptsächlich
machte Schwabing auch zu einem Ort des aus dem Medienbereich.
Gewerbes. Viele der dort beschäftigten Ar- Osterwaldgarten
beiter lebten unter miserablen Bedingungen
in einer Arbeitersiedlung namens „Sack- Lokomotiven Die Osterwaldstraße zweigte ursprünglich
zipfel“ am Rand des Dorfes am heutigen von der Biedersteiner Straße ab, wurde aber
Artur-Kutscher-Platz. Es ist heute schwer vorstellbar, dass sich in mit dem Bau des Isarrings 1963 in zwei un-
der Hirschau von 1838 bis 1933 eine Loko- zusammenhängende Teile zerschnitten. Des-
motivfabrik befand. Es war dies die J.A.Maf- halb heißt der kürzere südliche Teil seitdem
Leder fei’sche Maschinenfabrik, die sich zwischen Liebergesellstraße. Anlass dafür wiederum
Gyßlingstraße und Isar ausbreitete und sich war, dass der Stadtrat der Bayerischen
Der Nymphenburg-Biedersteiner Kanal fließt zu einer der führenden deutschen Hersteller Volkspartei von 1925 bis 1930, Paul Lieber-
vom Schlosspark durch das Olympiagelände entwickelte. Ihre Energie bezog sie zunächst gesell (1871–1932), bis zu seinem Tod in
und am Ungererbad vorbei entlang der Sten- mechanisch, seit 1895 elektrisch aus dem der Osterwaldstraße 12 gelebt hatte. Die
gel- und Amsterdamer Straße in den Schwa- vom Eisbach angetriebenen Tivoli-Kraftwerk, Gaststätte Osterwaldgarten – damals Oster-
binger Bach. Kurz vor dem Zusammenfluss das die Zeiten bis heute überdauert hat, im- waldstraße 1 – erinnert noch an die alte
bezog seit 1889 Leder- und Treibriemenfab- mer noch in Betrieb ist und unter der Adres- Zeit. (BW)
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