Page 30 - Taxikurier Juni 2020
P. 30

Adressen aus dieser Epoche sind die Maria-   rik der Gebrüder Hesselberger ihre Energie   se Gyßlingstraße 12 unter Denkmalschutz
           Josepha-Straße 5, 10, 14 und 16; die Markt-  aus der Wasserkraft. Eine Mieterin war die   steht. Im Jahr 1847 arbeiteten bereits 500
           straße 6;  der Nikolaiplatz 2 und 3; die  Ni-  Färberei und chemische Waschanstalt   Menschen bei Maffei und bis 1929 waren es
           kolaistraße 16 und 17; Seestraße 2, 3, 4, 16   Götz-Guilini, die ihre ebenfalls giftigen   3.600 geworden. Die Produktion endete
           und 18; Wagnerstraße 8; die Werneckstraße     Abwässer direkt in den Bach leitete. Bis   zwar im Jahr 1933, doch die Gebäude waren
           7, 9, 16, 18 sowie 27. Und nicht zu verges-  1935 existierten die Firmen, dann gingen   erst 1952 vollständig abgebrochen. Gärtne-
           sen die Werneckstraße 24, nämlich das 1715   ihre beiden Gebäude in andere Nutzung   rische Maßnahmen verwandelten die brach-
           bis 1718 nach Plänen von Johann Gunezrai-  über. Heute tragen die erhalten gebliebenen   liegende Ödnis derart, dass man heute von
           ner (1692–1763, Gunezrainerstraße von   Gebäude die Adresse Isarring 11. Im südli-  ihrer industriellen Nutzung überhaupt nichts
           1897) erbaute Schloss Suresnes.   chen Teil haben sich verschiedene Unterneh-  mehr merkt. Renaturiert wurden auch die
                                             men niedergelassen, etwa das mit der vom   durch die intensive industrielle Nutzung ver-
                                             Mittleren Ring her auffälligen Aufschrift   dreckten und vergifteten Bäche des Engli-
           Städtische Bausubstanz            „OSKA“, während im nördlichen Teil der   schen Gartens. Ein Straßenname aus der Zeit
                                               Ukrainische Schulverein „Ridna Schkola“   nach der Eingemeindung Schwabings erin-
           Aus der Zeit vor 1890 stammen auch bereits     untergebracht ist.    nert an diese Vergangenheit. Die Straße mit
           Gebäude, die den beginnenden städtischen                            dem Namen Hirschau erhielt 1903 ihre neue
           Einfluss aus München dokumentieren und in                           Bezeichnung Gyßlingstraße mit der Erklä-
           der Liste der Baudenkmäler aufgeführt wer-  Loden                   rung: „Zu Ehren des verstorbenen, verdien-
           den: Zwei für ein Dorf untypische Villen an                         ten Vorstandes und Direktors des Dampf-
           der Biedersteiner Straße 2 und 19, letzteres   Auf einer künstlichen Insel des Schwabinger   kessel-Revisions-Vereines Walter Gyßling,
           das Gohren-Schloss. Und dann noch die   Baches siedelte sich 1870 die Münchner Lo-  geboren 5. Mai 1836 in Mauchenheim, ge-
           Mietshäuser an der Occamstraße 3, 4, 6, 8,   denfabrik Johann Georg Frey mit der heuti-  storben 23. Juli 1903 in München“. Nach
           und 17.                           gen Adresse Osterwaldstraße 10 (bis 1890   dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) deutete
                                             Auenstraße) an, um das Wasser als Kraft-  sich in den 1920er Jahren an, dass die gro-
                                             quelle, aber auch zum Fortspülen ihrer Fär-  ßen Zeiten der Firma Maffei vorbei waren
           Der Englische Garten als          berei-Abwässer zu nutzen. Die Fabrik wurde   und sich eine Fusion mit der Münchner Lo-
           Industrie-Revier                  mit dem wachsenden Erfolg der Firma immer   komotivfabrik Krauss anbahnte. Im Jahr
                                             weiter bis zu ihrem heutigen Umfang ausge-  1931 fusionierten die Firmen und verlegten
           Die Hirschau als Teil des Englischen  Gartens   baut, so dass sie schließlich mit 35.000   ihre Produktion 1933 in das neue Werk in
           gehörte seit 1818 zur Gemeinde Schwabing.   Quadratmetern die gesamte Insel ausfüllte.   Allach. Am Ende der Gyßlingstraße haben
           Im Englischen Garten gab und gibt es eini-  Auf dem Gelände wurden seit 1927 nicht   sich bis heute einige Werkswohnungen er-
           ge Bäche mit starker Fließgeschwindigkeit,   mehr nur wasserabweisende Stoffe für die   halten. Abgesehen davon erinnert lediglich
           die sich industriell als Kraftquelle aus-  Weiterverarbeitung hergestellt, sondern   der Ernst-Penzoldt-Weg von 1966 (benannt
           nutzen  ließen. Die beiden Straßennamen   auch fertige Kleider. Während des Dritten   nach dem Münchner Dichter, 1892–1955) an
           Maffei straße und Freystraße bezogen sich   Reiches fertigte Lodenfrey Uniformen und   die dortige industrielle Vergangenheit – aber
           auf zwei Fabriken, die sich im Englischen   man bezeichnete sich selbst als „Kleider-  nur indirekt: Er verläuft auffällig schnurge-
           Garten  etabliert hatten, nämlich die Textil-  kammer für den braunen Soldaten, für Hit-  rade durch die Grünanlagen zur Schwe-
           firma  Loden-Frey an der Osterwaldstraße   ler-Jungens und Hitler-Mädels“. Seit den   denstraße, und zwar weil er der Trasse des
           und die Maschinen- und Lokomotivenfabrik   1980er Jahren wurde die Produktion schritt-  1902 verlegten und 1950 wieder entfernten
           Maffei an der Gyßling straße, von der heute   weise ins Ausland verlegt, so daß die   Industriegleises der Fabrik folgt, das zum
           abgesehen vom Tivoli-Kraftwerk nichts   Münchner Tracht nunmehr aus Ungarn, Ru-  ehemaligen Schwabinger Bahnhof an der
           mehr übrig geblieben ist. Dieser bedeuten-  mänien oder der Türkei stammt, sehr zum   jetzigen Berliner Straße führte. Davor muss-
           de industrielle Schwerpunkt, der seine Ener-  Missfallen oberbayerischer Traditionalisten.   ten die Lokomotiven auf Spezialfuhrwerken,
           gie aus den Wasserläufen bezog – anfangs   Dadurch konnten die Gebäude für eine neue   gezogen von 30 bis 40 Pferden, wegtrans-
           mechanische Energie durch Wasserräder,   Nutzung frei werden und beherbergen jetzt   portiert werden.
           später elektrische Energie durch Turbinen –,   verschiedene Dienstleister, hauptsächlich
           machte Schwabing auch zu einem Ort des   aus dem Medienbereich.
           Gewerbes. Viele der dort beschäftigten Ar-                          Osterwaldgarten
           beiter lebten unter  miserablen Bedingungen
           in einer  Arbeitersiedlung namens „Sack-  Lokomotiven               Die Osterwaldstraße zweigte ursprünglich
           zipfel“ am Rand des Dorfes am heutigen                              von der Biedersteiner Straße ab, wurde aber
             Artur-Kutscher-Platz.           Es ist heute schwer vorstellbar, dass sich in   mit dem Bau des Isarrings 1963 in zwei un-
                                             der Hirschau von 1838 bis 1933 eine Loko-  zusammenhängende Teile zerschnitten. Des-
                                             motivfabrik befand. Es war dies die J.A.Maf-  halb heißt der kürzere südliche Teil seitdem
           Leder                             fei’sche Maschinenfabrik, die sich zwischen   Liebergesellstraße. Anlass dafür wiederum
                                             Gyßlingstraße und Isar ausbreitete und sich   war, dass der Stadtrat der Bayerischen
           Der Nymphenburg-Biedersteiner Kanal fließt   zu einer der führenden deutschen Hersteller   Volkspartei von 1925 bis 1930, Paul Lieber-
           vom Schlosspark durch das Olympiagelände   entwickelte. Ihre Energie bezog sie zunächst   gesell (1871–1932), bis zu seinem Tod in
           und am Ungererbad vorbei entlang der Sten-  mechanisch, seit 1895 elektrisch aus dem   der Osterwaldstraße 12 gelebt hatte. Die
           gel- und Amsterdamer Straße in den Schwa-  vom Eisbach angetriebenen Tivoli-Kraftwerk,   Gaststätte Osterwaldgarten – damals Oster-
           binger Bach. Kurz vor dem Zusammenfluss   das die Zeiten bis heute überdauert hat, im-  waldstraße 1 – erinnert noch an die alte
           bezog seit 1889 Leder- und Treibriemenfab-  mer noch in Betrieb ist und unter der Adres-  Zeit. (BW)




           30 ⁄ TAXIKURIER ⁄ JUNI 2020
   25   26   27   28   29   30   31   32