Page 14 - Taxikurier Oktober 2020
P. 14
RECHTSPRECHUNG
➔ URTEILE Vollkaskoversicherung haftet nicht für Schäden nach
Überfahren einer nicht erkannten Fahrbahnschwelle
Ein Schaden, der durch das Überfahren einer nicht erkannten
Haftung Fahrbahnschwelle entsteht, stellt keinen Unfallschaden, son-
dern einen Betriebsschaden dar. Für einen solchen Schaden
haftet nicht die Vollkaskoversicherung. Dies hat das Oberlan-
Mithaftung bei Unfall trotz Tempo-Einhaltung möglich desgericht Stuttgart entschieden.
Autofahrer müssen Geschwindigkeit immer an die Verkehrs-, Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Januar 2017
Sicht- und Wettersituation anpassen. überfuhr ein in Deutschland lebender Pkw-Fahrer mit seinem
Fahrzeug auf einer asphaltierten Straße in Island mit einer Ge-
Eine Autofahrerin hält sich an ein angezeigtes Tempolimit und schwindigkeit von 30 bis 40 km ⁄ h eine quer zur Fahrbahn an-
haftet dennoch nach einem Unfall mit, weil sie zu schnell gefah- gelegten Fahrbahnschwelle. Die zulässige Höchstgeschwindig-
ren ist. Was sind die Hintergründe für dieses Urteil eines Ge- keit betrug 50 km ⁄ h. Der Autofahrer gab an, die Bodenschwelle
richts? Auch wer sich an das angezeigte Tempolimit hält, kann zu wegen der Dunkelheit und der Schneebedeckung nicht gesehen
schnell unterwegs sein und für die Folgen eines Unfalls haften zu haben. Da das Fahrzeug durch das Überfahren der Fahrbahn-
müssen, denn Autofahrer müssen ihre Geschwindigkeit immer schwelle einen Totalschaden erlitt, beanspruchte er seine Voll-
auch an die Verkehrs-, Sicht- und Wettersituation anpassen. kaskoversicherung. Da sich diese weigerte den Schaden als
Unfallschaden anzuerkennen, erhob der Pkw-Fahrer Klage. Das
Im verhandelten Fall war eine Frau bei Dunkelheit mit rund Landgericht Ravensburg wies die Klage ab. Dagegen richtete
80 km ⁄ h auf einer Gemeindestraße unterwegs. Dort war Tempo sich die Berufung des Klägers.
80 erlaubt, doch die Fahrbahn war nur knapp fünf Meter breit
und wies weder Markierungen noch befestigte Seitenstreifen Das Oberlandesgericht Stuttgart bestätigte die Entscheidung
auf. des Landgerichts. Ein Anspruch auf Versicherungsschutz durch
die Vollkaskoversicherung bestehe nicht. Der durch das Über-
In einer leichten Rechtskurve stieß die Autofahrerin dann mit fahren der Bodenschwelle entstandene Schaden stelle keinen
einem beleuchteten, rund drei Meter breiten Treckergespann versicherten Unfallschaden dar, sondern einen Betriebsschaden.
zusammen, das ihr entgegen fuhr. Dabei entstand erheblicher Es habe sich ein Risiko ausgewirkt, dem das Fahrzeug des
Personen- und Sachschaden, und der Treckerbesitzer verlangte Klägers nach seiner Verwendung im gewöhnlichen Fahrbetrieb
vollen Schadenersatz. Den wollte die Versicherung der Pkw- ausgesetzt gewesen sei. Ein Pkw sei beim gewöhnlichen Fahr-
Fahrerin aber nur zur Hälfte leisten, da sie von einer Mithaf- betrieb dem Risiko ausgesetzt, durch das Überfahren von ab-
tung des Gespannfahrers ausging. sichtlich angebrachten Fahrbahnerhöhungen in Form von Fahr-
bahnschwellen einen Schaden zu erleiden. Solche Schäden
Die Sache ging vor Gericht, und das entschied auf eine Teilung entspringen keinem plötzlichen Ereignis von außen, wie bei
des Schadens. Es sah aber in der Autofahrerin die Unfallverur- einem Unfall. Dies entspreche nicht dem Sinn und Zweck der
sacherin und wies ihr eine 70-prozentige Haftung zu. Obgleich Bodenschwellen.
sie das Tempolimit allenfalls geringfügig überschritten hatte,
habe sie ihr Tempo eben nicht an die Verhältnisse angepasst, (Oberlandesgericht Stuttgart,
so das OLG. Dunkelheit, fehlende Fahrbahnmarkierungen, nicht Urteil vom 30.07.2020 – Az. 7 U 57 ⁄ 20)
befestigter Seiten streifen sowie erkennbarer Gegenverkehr
hätten genau das aber erforderlich gemacht.
Fahrzeugtür-Unfall: Aussteigender darf von rückwärts
Nach Ansicht der OLG wären angesichts der Verhältnisse in der Kommende nicht gefährden - Vorbeifahrender muss
Kurve selbst 75 km ⁄ h noch zu schnell gewesen. Richtig wäre es Sicherheitsabstand einhalten
gewesen, nur so schnell zu fahren, dass die Frau das Auto min-
destens in der Hälfte der von ihr übersehbaren Strecke hätte Amtsgericht entscheidet über Frage des Mindestabstands zu
anhalten können. Denn sie hätte einkalkulieren müssen, dass parkendem Kfz nach Kollision mit Fahrzeugtür
das Treckergespann im Gegenverkehr überbreit war und ihr nur
sehr wenig Raum übrig blieb. Aufgrund des überbreiten land- Wer aus einem Fahrzeug aussteigt, muss dabei insbesondere
wirtschaftlichen Fahrzeugs mit 18 Tonnen Gewicht und entspre- das Vorrecht des fließenden Verkehrs mit höchster Vorsicht be-
chend erhöhten Betriebsgefahr musste sich der Traktor fahrer achten, weshalb er den Verkehr durch die Rückspiegel und er-
allerdings 30 Prozent der Haftung anrechnen lassen. forderlichenfalls durch die Fenster genau beobachten muss und
die Wagentür nur öffnen darf, wenn er sicher sein kann, dass er
(Oberlandesgericht Celle, keinen von rückwärts Kommenden gefährdet; einen Vertrauens-
Urteil vom 04.03.2020 – Az. 14 U 182 ⁄ 19) schutz zugunsten des Aussteigenden auf Einhaltung eines aus-
14 ⁄ TAXIKURIER ⁄ OKTOBER 2020