Page 16 - Taxikurier Oktober 2020
P. 16
sicht beachten, weshalb er den Verkehr durch die Rückspiegel Wiesnbesuch am 03.10.2019 gegen 22.15 Uhr mit einem
und erforderlichenfalls durch die Fenster genau beobachten E-Scooter auf der Hochstraße in München. Er hatte ihn am
muss und die Wagentür nur öffnen darf, wenn er sicher sein Rosenheimer Platz angemietet und fuhr circa 300 m, bevor
kann, dass er keinen von rückwärts oder von vorn Kommenden er angehalten wurde. Er hatte beabsichtigt, den Weg von
gefährdet. Diesen Anforderungen wurde das Verhalten des Fah- etwa 400 m zu seinem Hotel zurückzulegen. Die bei ihm um
rers nicht gerecht, was als Ergebnis der Beweisaufnahme, d. h. 22.40 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkohol-
der Vernehmung des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs und konzentra tion von 1,35 ‰ im Mittelwert.
der Feststellungen des Sachverständigen, zur Überzeugung des
Gerichts feststeht. Der als Zeuge einvernommene Polizeibeamte gab an, dass Aus-
fallerscheinungen des im Rahmen einer Schwerpunktkontrolle
Der Beklagte zu 1) hat den Unfall jedoch mitverursacht, indem angehaltenen Angeklagten nicht festzustellen gewesen wären.
er an dem Klägerfahrzeug unter Verstoß gegen § 1 Abs. 2, § 5 Er wäre selbst von der Höhe des an Ort und Stelle gemessenen
Abs. 4 Satz 2 StVO ohne ausreichenden Seitenabstand vorbeige- Atemalkoholwertes überrascht gewesen.
fahren ist und damit nicht nur völlig untergeordnet zur Entste-
hung des Zusammenpralls beigetragen hat. Nach der zitierten Gemäß § 1 Abs. 1 eKFV sind Elektrokleinstfahrzeuge wie der
Regelung des § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO darf nur überholt werden, E-Scooter Kraftfahrzeuge. Soweit der Angeklagte anführte, er
wenn ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Verkehrsteil- sei nicht davon ausgegangen, dass E-Scooter straßenverkehrs-
nehmern (§ 5 Abs. 4 Satz 2 StVO) einzuhalten und eine Behin- rechtlich wie Autos einzustufen seien, handelt es sich um einen
derung (§ 5 Abs. 4 Satz 4 StVO), Gefährdung oder gar Schädi- Verbotsirrtum, der für den Angeklagten vermeidbar war. Als
gung (§ 1 Abs. 2 StVO) des Überholten vermieden werden kann. Straßenverkehrsteilnehmer hätte er sich – gerade bei Nutzung
Gleiches gilt für das Vorbeifahren an haltenden Fahrzeugen. von neu im Verkehrsraum erschienenen Fahrzeugen – vor Fahrt-
Hiergegen hat der Beklagte zu 1) verstoßen, indem er den klä- antritt kundig machen müssen. Dies gilt umso mehr, als die
gerischen Pkw mit einem deutlich zu geringen Seitenabstand straßenverkehrsrechtliche Einordnung elektromotorenbetriebe-
von lediglich 30-35 Zentimetern passiert hat, was ebenfalls zur ner Fahrzeuge, sowohl im Zusammenhang mit E-Scootern, als
Überzeugung des Gerichts als Ergebnis der Beweisaufnahme auch schon zuvor mit ähnlichen Fahrzeugen in der breiten
feststeht. Öffentlichkeit problematisiert wurde.
Zwar haben somit beide Fahrer, von deren Fahrzeugen eine ver- Bei der Strafzumessung sprach zu Gunsten des Angeklagten,
gleichbare Betriebsgefahr ausgeht, den Unfall schuldhaft her- dass er nicht vorbestraft ist und durch sein Verhalten letztlich
beigeführt. Der Verstoß des Fahrers des klägerischen Kfz wiegt keine Gefährdung eingetreten ist. Auch ist die verhältnismäßig
jedoch schwerer, da er entgegen der besonderen Sorgfalts- überschaubare Fahrstrecke – insoweit folgt das Gericht den
pflicht des § 14 Abs. 1 StVO die Gefahrensituation erst herauf- glaubhaften Angaben des Angeklagten – von nur etwa 300 m
beschworen hat und es bei regelkonformem Verhalten gar nicht zu berücksichtigen, ebenso der Umstand, dass der Angeklagte
zum Unfall hätte kommen können. Demgegenüber hat der Be- nicht mit einem Pkw, sondern einem wesentlich leichteren
klagte zu 1) lediglich das Fehlverhalten des Fahrzeugführers E-Scooter fuhr.
nicht in angemessener Weise antizipiert und einen zu geringen
Sicherheitsabstand eingehalten, was nach Ansicht des Gerichts Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB war die Fahrerlaubnis zu ent-
im Ergebnis eine Haftungsverteilung im Verhältnis 1 ⁄ 3 : 2 ⁄ 3 zu ziehen. Insoweit liegt ein Regelfall vor, wonach sich der Ange-
Lasten des Klägers gerechtfertigt erscheinen lässt. klagte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen
hat. Ein Abweichen vom Regelfall ist vorliegend nicht ange-
(Amtsgericht Frankenthal, zeigt. Zwar handelt es sich um eine Fahrt mit einem E-Scooter,
Urteil vom 26.06.2020 – Az. 3c C 61 ⁄ 19) welcher im Verhältnis zu einem herkömmlichen Pkw deutlich
leichter ist, und um eine Fahrstrecke von nur circa 300 m.
Jedoch handelt es sich auch nicht um eine Bagatelle, die nach
E-Scooter gilt als Kraftfahrzeug – Trunkenheit auf dem höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Abweichen vom Regel-
E-Scooter ist der am Steuer gleichzusetzen fall erfordert. Der Gesetzgeber habe sich bewusst dafür ent-
schieden, weder bei den Ordnungswidrigkeiten noch bei den
Das Amtsgericht München verurteilte einen 30-jährigen ange- Straftaten eine abweichende Regelung für Trunkenheitsfahrten
stellten Sachverständigen aus Kevelaer wegen fahrlässiger mit E-Scootern zu treffen. Überdies war zur Einwirkung auf
Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen den Angeklagten ein Fahrverbot von drei Monaten zu verhän-
zu je 55 Euro, einem dreimonatigen Fahrverbot, entzog ihm die gen, da der Angeklagte durch die Nutzung von E-Scootern
Fahrerlaubnis und wies die Verwaltungsbehörde an, ihm vor Ab- gezeigt hat, dass er auch auf fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge
lauf von sieben Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. zurückgreift.
Der bis auf ein Bußgeld wegen unerlaubter Handynutzung im (Amtsgericht München,
Verkehr unvorbelastete Angeklagte fuhr im Anschluss an einen Urteil vom 09.01.2020 – Az. 941 Cs 414 Js 196533 ⁄ 19)
16 ⁄ TAXIKURIER ⁄ OKTOBER 2020