Page 26 - Taxikurier Januar 2021
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WISSENSWERTES






            ➔ PROMINENTE PROPHETEN

           Ein Blick aus der Vergangenheit in die Gegenwart










           1964–2000–2020                    wird die Stadt mit einem riesigen Atemzug   Einzugsgebiet, keine Stadt mehr, wie wir
                                             morgens gegen 9 Uhr weit über eine Million   sie heute kennen, eine weit ausgebreitete
           Der deutsche Schriftsteller Friedrich Schil-  Beschäftigte an ihre Arbeitsplätze ziehen,   Metropole um den Schnittpunkt der alten
           ler (1759–1805, Schillerstraße von 1860)   um sie am Nachmittag gegen 4 Uhr zum   Salzstraße und der Handelsstraße Nord-Süd
           erkannte: „Nichts Wahres lässt sich von der   Feierabend wieder auszuatmen.“ Und wie   (= Marienplatz).
           Zukunft wissen.“ Außerdem gelangte er zu   sollte der ungeheure Verkehr, der durch
           der Erkenntnis: „Vermauert ist dem Sterbli-  diese Art von 28-Stunden-Woche entstand,
           chen die Zukunft.“ Der US-Schriftsteller   bewältigt werden? „U-Bahn, Hochbahn und   Alfred Angerer (1925–2010)
           John Steinbeck (1902–1968) wiederum   zweigeschossige Stadtautobahnen werden
           stellte fest: „Das Merkwürdigste an der   die Verkehrsprobleme wieder befriedigend   Angerer arbeitete als Architekt und Stadt-
             Zukunft ist wohl die Vorstellung, dass    bewältigen: elektrische Automobile, ge-  planer und als Professor an der Techni-
           man unsere Zeit später die gute alte Zeit   räuscharm und ohne Auspuffgase, senk-  schen Universität München. Zu seinen Bau-
           nennen wird.“ Und der deutsche Wissen-  recht startende Großraumflugzeuge und   ten in München zählen das DEBA-Haus von
           schaftsjournalist Robert Jungk (1913–  kleinere Privatmaschinen, Taxis zu Straßen-  1966 an der Drygalski-Allee 118, die Pres-
           1994) veröffentlichte 1952 ein Buch mit   bahnpreisen.“ Genauso dynamisch sollte es   sestadt für die Olympischen Sommerspiele
           dem Titel „Die Zukunft hat schon begon-  dann im Jahr 2000 in der reichlich bemes-  1972 an der Riesstraße 82 oder die Erwei-
           nen“, ein weltweiter Erfolg. In diesem Sin-  senen Freizeit zugehen: „Mit einem Porte-  terung des Karstadt (damals Hertie) von
           ne wollte auch die Süddeutsche Zeitung   monnaie, etwa dreimal so dick wie das ih-  1971 entlang der Schützenstraße. Angerer
           nicht hintanstehen, als sie in ihrer Ausga-  rer Großeltern, werden unsere Enkel an den   zeigte sich 1964 zuversichtlich, dass die
           be vom 31. Dezember 1964 einige Promi-  langen Wochenenden und Feierabenden auf   2000er einen vernünftigen Umgang mit
           nente einen Blick in die Zukunft werfen   sechsbahnigen Straßen ins Grüne fahren.“   dem Auto gelernt haben würden. Die Künf-
           ließ: „Wie sieht München im Jahr 2000   Und wie könnte dieses Grün im Jahr 2000   tigen würden sich in ihrer Stadt wieder
           aus?“ Diese Persönlichkeiten erschienen als   aussehen? „Unwirtschaftlich gewordene   menschenwürdig bewegen und sich mit
           Fachleute geeignet, 36 Jahre in die damali-  Acker- und Weideflächen sind nun kostbare   Schaudern an die Zeiten der lärmenden und
           ge Zukunft zu blicken, und begaben sich   Erholungsgebiete.“ Die größten Probleme   stinkenden Automobile erinnern, an die
           auf das rutschige Parkett der Zukunfts-  der Stadt im Jahr 2000 seien nicht mehr   U-Bahn-Baustellen und das Verkehrschaos.
           schau.                            die Verkehrs- und Versorgungsprobleme,   Die U-Bahnen würden lautlos unter der
                                             sondern politische: Kann diese Stadt ihr   Stadt hindurch gleiten und die vernünftig
                                             einzigartiges Profil bewahren, wenn die   konstruierten Autos am Rand des Zentrums
           Klaus von Dohnanyi (geboren 1928)  Hälfte aller Einwohner des Großraumes   in Parkgaragen verschwinden. Ungestört
                                             nicht mehr unmittelbare Bürger der Stadt   könne man dann zu Fuß durch die Innen-
           Nach verschiedenen öffentlichen Ämtern   sind, und sich hier eine weit ausgebreitete   stadt bummeln und nach Lust und Laune
           arbeitete Dohnanyi später – von 1964 aus   Metropole über das Land zieht? Der öffent-  verweilen. Um das Umland vor der Zersied-
           gesehen später – von 1981 bis 1988 als   liche Haushalt des Wirtschaftsraumes Mün-  lung zu bewahren, stünden heute – also
           Erster Bürgermeister der Freien und Hanse-  chen werde etwa vier Milliarden betragen;   2000 – in der Stadt Hochhäuser, die alle
           stadt Hamburg. Er meinte, dass im Jahr   tatsächlich betrug der Haushalt allein der   Vorteile eines Einfamilienhauses böten.
           2000 rund drei Millionen Menschen im   Stadt München 2000 rund neun Milliarden   „Sicher ist München schöner als jetzt, denn
           Großraum München leben und dass bis da-  DM. Also die bange Frage: „Das ist eine   viele der uns heute bedrängenden Probleme
           hin die Vorortssiedlungen städtischen Cha-  Größenordnung, die heute nur von Mam-  sind bewältigt“, glaubte Angerer optimis-
           rakter angenommen haben würden. Dieser   mutbetrieben der Wirtschaft erreicht wird.   tisch.
           Großraum München definierte sich aus der   Wird man die Stadtverwaltung auch handha-
           Landeshauptstadt München selbst sowie   ben können wie einen rationellen Großbe-
           aus den damaligen Landkreisen Wolfrats-  trieb?“ Ganz allgemein schätzte Dohnanyi   Edgar Luther (1908–1972)
           hausen, Dachau, Ebersberg, Erding, Frei-  die Situation unserer Stadt wie folgt ein:
           sing, Fürstenfeldbruck, München und   „München, im Schnittpunkt des Handels   Der damals amtierende Stadtbaurat Edgar
           Starnberg. Tatsächlich lebten im Jahr 2000   zwischen einem hoch industrialisierten   Luther äußerte sich – aus unserer heutigen
           im Großraum insgesamt 2.400.000 Men-  Nordeuropa und einem schnell reich gewor-  Sicht – zögerlich, was den öffentlichen
           schen, Dohnanyi behielt also über den   denen Italien, zwischen dem Wirtschafts-  Nahverkehr anging: Für das Jahr 2000 sah
           Daumen gepeilt einigermaßen Recht. Weni-  gebiet Westeuropas und einem aufblühen-  er voraus, dass es dann eine S-Bahn-Ver-
           ger Recht behielt er mit folgender Vorher-  den Balkan, wird nicht mehr dieselbe Stadt   bindung zwischen Hauptbahnhof und Ost-
           sage: „An den vier Arbeitstagen der Woche   sein. Drei Millionen Bewohner im engeren   bahnhof sowie eine einzige U-Bahn-Linie




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