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➔ ARNOLD & RICHTER
Die ARRI Group – von 1917 bis heute
Am 12. September 1917, während des Ersten Weltkrieges (1914–1918), gründeten zwei junge Männer in München ein
Unternehmen, nach heutigem Sprachgebrauch ein Start-Up, das in erstaunlich kurzer Zeit zu einem Weltmarktführer,
also zu einem Global Player, wurde, weil sie genau in die damals aktuelle technische Entwicklung passte – nämlich die
Firma ARRI für Filmkamera-Ausrüstungen.
lich von München entstanden. Beispiels- Inhaber dieses Patentes einigen und wei-
weise 1920 den inzwischen verschollene terhin werbewirksam behaupten, „die erste
Streifen „Die Geier der Goldgruben“ oder Spiegelreflex-Filmkamera der Welt“ produ-
im selben Jahr „Die Rache des Mexikaners“, ziert zu haben. Vereinfacht gesagt, war der
der von der Reichsfilmzensur umgehend mit große Vorteil dieses Systems, dass man bei
einem Jugendverbot belegt wurde, und das der Spiegelreflex-Filmkamera sofort sah,
hieß damals, unter dem Alter von 21 Jah- was man gleich anschließend aufnahm. Bei
ren durfte man das Werk offiziell nicht an- professionellen Filmaufnahmen bedeutete
schauen. Ein Jahr später folgten dann noch nämlich eine misslungene Szene einen be-
weitere Reißer wie die „Die Flammenfahrt achtlichen finanziellen Schaden. Darüber
des Pacific-Express“ oder „Der gelbe Wür- hinaus transportierte ein gleichmäßig lau-
ger“. Auch einige frühe Filme mit Karl fender Elektromotor den Film, während
Gründer und Namengeber Valentin (1882–1948, Karl-Valentin-Straße man davor diesen mit der Hand kurbeln
von 1948) entstanden mit Hilfe von Arnold musste. Die Erich-Kästner-Straße allerdings
Der eine junge Mann – 19-jährig – hieß und Richter. Die junge Firma vermietete hat mit diesem Erich Kästner nichts zu tun.
August Arnold (1898-1983) und der andere ihre aufgerüstete Kamera an andere Produ- Die Tengstraße von 1893 führte ursprüng-
war der 18-jährige Robert Richter (1899– zenten, wenn sie sie nicht selbst brauchte, lich nördlich über den Hohenzollernplatz
1972). Sie lernten sich am Alten Realgym- und im eigenen Filmlabor entwickelte und hinaus. Im Rahmen des Baus des 1980 er-
nasium, dem heutigen Oskar-von-Miller- kopierte man sowohl eigene Filme als auch öffneten U-Bahnhofes wurde der Platz für
Gymnasium an der Siegfriedstraße 22 (der- Filme für Auftraggeber. Ab 1924 entwickel- den Durchgangsverkehr in nord-südlicher
zeit provisorische an der Ungererstraße te ARRI darüber hinaus systematisch Film- Richtung gesperrt und damit die Teng-
191) kennen. Sie interessierten sich schon zubehör, auch Filmkameras, und übernahm straße in zwei unzusammenhängende
während dieser Zeit für das neu aufkom- immer mehr Schritte von Filmproduktion Abschnitte geteilt. Ihr nördlicher Bereich
mende Medium des Films und kauften sich und -vertrieb. hält daher seit 1977 die Erinnerung an den
Kameras, Filmprojektoren und -kopiergerä- Schriftsteller Erich Kästner (1899–1974)
te, an denen sie bastelten und Verbesse- wach. Der Techniker Kästner fand seine
rungen vornahmen. Im Jahr 1917 schließ- Erich Kästner letzte Ruhe in Rosenheim.
lich gründeten sie ihre eigene Firma mit
dem Namen ARRI, was für ARnold & RIch- Der 21-jährige Techniker Erich Kästner
ter steht, mit dem Standort Türkenstraße (1911–2005) trat 1932 in die Firma ARRI Durchbruch
89, wo sich noch heute große Teile der ein und blieb über 50 Jahre Chefkonstruk-
Firma befinden. Arnold liegt auf dem Nord- teur der Kamera-Entwicklung in München. Ermutigt durch den olympischen Erfolg,
friedhof (Gräberfeld 26, Grabnummer 5) Er war maßgeblich an der Entwicklung der wurde 1937 ein produktionsreifes Exemplar
bestattet, Richter wurde auf dem Alten Teil ersten in Serie gebauten Filmkamera der auf der international besuchten Messe in
des Waldfriedhofes (Gräberfeld 164, Grab- Firma beteiligt und schrieb damit ein Stück Leipzig präsentiert, die Arriflex 35. Ohne
nummer 10) begraben. Technik- und Filmgeschichte. Dabei gelang hier auf technische Einzelheiten eingehen
ihm ein technischer Quantensprung, zu wollen und zu können, sei so viel ge-
nämlich der Entwicklung einer handlichen sagt: Die Fachwelt zeigte sich von dieser
Erste Schritte Spiegelreflex-Filmkamera, deren Prototyp revolutionierenden Neuerung begeistert, da
im Frühjahr 1936 fertig gestellt war und es nun endlich auch für den Film eine aus-
Arnold und Richter drehten etliche selbst bei den XI. Olympischen Sommerspielen gereifte und insbesondere vom Gewicht her
produzierte Filme, unter anderem die soge- desselben Jahres in Berlin zum Einsatz ge- leicht zu handhabende Spiegelreflexkamera
nannten „Isar-Western“-Filme, deren Hand- langte. Bereits seit 1913 war der Spiegel- gab. Es stand nun eine Kamera für Sportbil-
lungen im Wilden Westen der USA spielten reflexsucher für Filmkameras als Patent ge- der, Reportagen, für wissenschaftliche und
und deren Außenaufnahmen im Isartal süd- schützt, aber ARRI konnte sich mit dem Naturaufnahmen zur Verfügung, deren erste
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