Page 12 - Taxikurier Dezember 2022
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RECHTSPRECHUNG


            ➔ URTEILE



           Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km ⁄ h       gefahrener 140 km ⁄ h für den Fahrer weit deutlicher erkennbar, als
           nicht zwingend wahrnehmbar                         eine Differenz zwischen 60 km ⁄ h und 84 km ⁄ h, obwohl das relati-
                                                              ve Maß der Überschreitung jeweils gleich ist. Dies gelte erst recht
                                                              innerhalb einer Baustelle, bei der aufgrund von Fahrbahnuneben-
           Kein Vorwurf einer vorsätzlichen Geschwindigkeits-  heiten auch bei Einhaltung der erlaubten Geschwindigkeit regel-
           überschreitung                                     mäßig mit höheren Fahrgeräuschen zu rechnen ist.

           Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km ⁄ h ist nicht zwin-  (Oberlandesgericht Zweibrücken,
           gend anhand äußerer Kriterien wahrnehmbar, so dass der Vorwurf   Beschluss vom 11.07.2022 – 1 OWi 2 SsBs 39 ⁄ 22)
           des vorsätzlichen Ge schwindig keits verstoßes im Zweifel nicht be-
           gründet werden kann. Dies hat das Oberlandesgericht Zweibrücken
           entschieden. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: In   Recht zum Abschleppen eines unbefugt abgestellten
             einer Nacht im August 2021 überschritt ein Autofahrer auf einer   Fahrzeugs erfordert keine konkrete Nutzungsabsicht des
           Autobahn in Rheinland-Pfalz die zulässige Höchstgeschwindigkeit   Berechtigten
           von 60 km ⁄ h um 22 km ⁄ h. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit
           war aufgrund einer Baustelle herabgesetzt worden. Das Amts-
           gericht Kaiserslautern verurteilte den Betroffenen wegen vor-   Keine Wartepflicht bis zum Rufen des Abschleppdienstes
           sätz licher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
           zu  einer Geldbuße von 140 Euro. Seiner Meinung nach habe der   Wird ein Fahrzeug unbefugt auf einem Parkplatz abgestellt, so
           Betroffene aufgrund der sensorischen Eindrücke, des Motorenge-  kann der Berechtigte das Fahrzeug abschleppen lassen, ohne dass
           räuschs, der Fahrzeugvibration und der Schnelligkeit der Änderung   eine konkrete Nutzungsabsicht erforderlich ist. Zudem besteht
           der Umgebung die Geschwindigkeitsüberschreitung erkannt und     keine Wartepflicht bis zum Rufen des Abschleppdienstes. Dies hat
           diese billigend in Kauf genommen. Gegen diese Entscheidung   das Landgericht München I entschieden. Dem Fall lag folgender
             richtete sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.  Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 2018 bemerkte die Mieterin eines
                                                              Parkplatzes, dass dort unbefugt ein Fahrzeug abgestellt war. Sie
                                                              rief daher ein Abschleppunternehmen. Als dieses eintraf, war das
           Keine tragfähige Begründung des Vorsatzvorwurfs    Fahrzeug jedoch nicht mehr da. Nachfolgend klagte die Abschlepp-
                                                              firma gegen den Halter des Fahrzeugs auf Erstattung der Kosten.
           Das Oberlandesgericht Zweibrücken entschied zu Gunsten des Be-  Das Amtsgericht München wies die Klage aufgrund mangelnder
           troffenen. Die Begründung des Amtsgerichts zum Vorsatzvorwurf   Nutzungsabsicht der Mieterin des Stellplatzes ab. Dagegen richtete
           sei nicht tragfähig. Zwar könne bei einer Übertretung von mindes-  sich die Berufung der Klägerin.
           tens 40 % der angeordneten Höchstgeschwindigkeit davon ausge-
           gangen werden, dass der Betroffene die Überschreitung kennt. Bei
           einer solchen erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung könne   Landgericht bejaht Anspruch auf Kostenerstattung
           in der Regel davon ausgegangen werden, dass der Fahrer anhand
           der Motorengeräusche, der sonstigen Fahrgeräusche, der Fahrzeug-  Das Landgericht München I entschied zu Gunsten der Klägerin.
           vibration und der Schnelligkeit der Änderung der Umgebung zuver-  Ihr stehe ein Anspruch auf Kostenerstattung zu. Für den Anspruch
           lässig einschätzen könne, dass er die erlaubte und ihm bekannte   komme es nicht auf eine konkrete Nutzungsabsicht des Stellplatzes
           zulässige Höchstgeschwindigkeit wesentlich überschreitet. Der   an. Ein unbefugt auf einem fremden Grundstück abgestelltes Fahr-
             Betroffene habe hier die zugelassene Höchstgeschwindigkeit um   zeug dürfe auch ohne konkrete Behinderung entfernt werden.
           ca. 37 % überschritten.

                                                              Keine Wartepflicht bis zum Rufen des Abschleppdienstes
           Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km ⁄ h nicht
           zwingend wahrnehmbar                               Es habe nach Auffassung des Landgerichts auch keine Wartepflicht
                                                              bis zum Rufen des Abschleppunternehmens bestanden. Es sei
           Hinzukomme, so das Oberlandesgericht, dass eine vergleichsweise   letztlich das Risiko des Besitzstörers, dass der Berechtigte sogleich
           niedrige Übertretung von 22 km ⁄ h nicht ohne weiteres erkennbar   ein Abschleppunternehmen beauftragt, insbesondere wenn keine
           sei. Die sensorisch wahrnehmbaren Merkmale eines zu schnellen   Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Besitzstörer das
           Fahrens fallen umso geringer aus, je geringer der Abstand zwi-  Fahrzeug demnächst wieder entfernen wird.
           schen zugelassener und tatsächlicher Geschwindigkeit ausfällt. So
           sei eine Differenz zwischen erlaubter 100 km ⁄h und tatsächlich   (Landgericht München I, Urteil vom 23.06.2022 – 31 S 10277 ⁄ 19)






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