Page 33 - Taxikurier Juli 2024
P. 33

HISTORISCHES


            ➔ RADFAHRERPEITSCHEN



           Als Radfahrerpeitschen den Straßenverkehr dominierten – Ja, richtig gelesen, Radfahrerpeitschen gab es wirklich. Autofahrer
           denken jetzt vielleicht, gute Idee, brauche ich heute auch manchmal. Der Leser ist aber eigentlich auf der falschen Fährte.



             Radfahrerpeitschen wurden von Rad-  Neben kleineren Scharmützeln gab es öfter   Das erste Verkehrsgesetz Preußens wurde
             fahrern um die Jahrhundertwende als   größere Tumulte, bei denen nicht mehr nur   1902 erlassen. Es enthielt die Vorschrift,
             Schlaginstrumente zur Abwehr von   die Peitschen, sondern auch die Fäuste flo-  dass ein Fahrzeugführer ein Handzeichen
               Hunden genutzt. Auch gab es zu diesem   gen. Anlässe gab es genug, denn insbeson-  vor dem Abbiegen geben musste. Heute
             Zweck kleinere Knallkörper zu kaufen.   dere auf den Straßen größerer Städte wie   wäre man schon froh, wenn wenigstens ein
             Die Peitschen gab es in verschiedenen   Paris, London oder Berlin herrschte zuneh-  Handzeichen zum Abbiegen oder Spurwech-
             Ausführungen, etwa mit und ohne   mend Chaos. Es passierten immer mehr   sel gegeben würde, denn Blinken ist ja aus
             Stahlein lage sowie mit unterschied-    Unfälle im wuseligen, halsbrecherischen   der Mode gekommen. 1904 eröffnete die
             lichen Griffen und Längen. Zum Trans-  Zusammenspiel von Pferdekutschen und   erste Fahrschule für Automobile und ab
             port wurde sie am Lenker in spezielle   Fuhrwerken, Radfahrern, Reitern, Fußgän-    Oktober 1907 gab es in Deutschland ein-
             Peitschenhalter geklemmt.       gern und den neuen Kfz.           heitliche Kennzeichen für Kraftfahrzeuge,
                                                                               in Bayern schon seit 1899. Am 3. Mai 1909
           Als aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts   Bereits am 14. August 1893, nur wenige   wurde im deutschen Kaiserreich das
           das Chaos auf den Straßen großer Städte   Tage nach seiner Amtseinführung, führte   „Reichsgesetz über den Verkehr mit Kraft-
           wuchs, wurden auch die Auseinanderset-  der Pariser Polizeipräsident Louis Lépine   fahrzeugen“ erlassen, ein Vorläufer der
           zungen zwischen den Verkehrsteilnehmern   eine Fahrprüfung, den Führerschein und   heutigen StVO. Die damals zulässige
           zunehmend aggressiver. Immer mehr Unfäl-  ausgewiesene Parkflächen ein. Außerdem   Höchstgeschwindigkeit betrug 15 km ⁄ h.
           le passierten und da es keine klaren Regeln   musste an jedes motorisierte Fahrzeug ein   (BH)
           gab, wurden eben auch die sogenannten   genehmigtes Kennzeichen sichtbar ange-
           Radfahrerpeitschen sowohl von Radfahrern   bracht werden, um endlich der grassieren-
           als auch Autofahrern zur Züchtigung des   den Fahrerflucht Herr zu werden. Die Fahr-
           jeweiligen Gegners verwendet. Dies galt   prüfung hatte aber noch sehr wenig mit
           auch für die bereits erwähnten Knallkörper.   unserer modernen Prüfung zu tun. Vielmehr
           Wer also glaubt, dass „Road Rage“, also   reichte es, sein Vehikel mittels damals
           Wut im Straßenverkehr, nur eine Erschei-  noch notwendigen Hilfsmitteln wie Öltank-
           nung der heutigen, hektischen Zeiten ist,   Handpumpe und Kurbel in Marsch setzen
           der irrt. Ärger über andere Verkehrsteilneh-  und unfallfrei damit eine Runde um den
           mer gibt es wohl, seitdem sich Menschen   Block absolvieren zu können.
           von A nach B bewegen, also seit abertau-
           senden Jahren. Eine Gattung von Verkehrs-  Bei manchen Autofahrern heute wird man
           teilnehmern, die erst seit sehr kurzer Zeit   das Gefühl nicht los, dass diese ihre Prü-
           anzutreffen waren, waren anderen Straßen-  fung vor mehr als 100 Jahren in Paris ge-
           nutzern ein besonderer Dorn im Auge:   macht hätten. Zwar war Deutschland im
             Autofahrer. Zwar fuhren Automobile kaum   Vergleich zu Frankreich, obwohl es mit Carl
           mehr als 15 km ⁄ h, stellten aber in den   Benz, Gottlieb Daimler, Wilhelm Maybach
             Augen Vieler eine Bedrohung dar.   oder Rudolf Diesel die ersten Autoingenieu-
                                             re in seinen Reihen hatte, in puncto Ver-
                                             kehrsdichte und -schulung damals noch
                                             hinterher, aber bereits in den 1870er bis
                                             1890er Jahren gab es eine Kennzeichen-
                                             pflicht für Fahrräder. Dies sollte man unbe-
                                             dingt in die moderne Zeit übertragen.















                                                                                          JULI 2024 ⁄ TAXIKURIER ⁄ 33
   28   29   30   31   32   33   34   35   36   37   38