Page 31 - Taxikurier Juli 2024
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Reich der gewöhnlichen Gastronomie ver-  „Die große Tanzfläche im Erdgeschoss glich   knallig-farbige Poster und ebenso bunte
           lassend, griff Anusch nach den Sternen. Er   mit den Hunderten bunt gekleideter Beat-  Perücken oder Last-Minute-Reisen. In die-
           schloss Verträge mit 15 Fachärzten für ein   tänzer einer wabernden Farbsauce. Überall   sem Spielplatz des hemmungslosen Kom-
           zehn Millionen Mark teures Diagnosezent-  hingen farbige Scheinwerferbündel, die   merzes aus dunkler Täfelung, Spiegeln und
           rum, worauf diese auch hineinfielen und   mittels elektronischer Abtaster synchron   Glas, psychedelischer Beleuchtung und
           mit dem Vorfinanzieren begannen. In   zum Rhythmus der Beatmusik pulsierten.     Musikberieselung vermischte sich alles zu
             diesem „TÜV für Menschen“ sollte jeder    Zeitweilig war der Lärm so stark, dass es   einer Orgie von Kitsch, zu einer Traumwelt
           zu einem Pauschalpreis auf Herz und Niere   vom ärztlichen Standpunkt aus ratsam er-  zwischen gestern und morgen. Laufend
           geprüft werden können. Und eine sensatio-  schien, das Weite zu suchen. Auf einem   sagte ein Ansager über Lautsprecher
           nelle Planung: Die hauseigene „Ideen-Ab-  Balkonvorsprung wanden und verrenkten   irgend ein Programm oder einmalige Kauf-
           teilung" hatte angeblich einen revolutionä-  sich eine Anzahl Go-Go-Girls im Beatrhyth-  chancen an. Wenn das Geld ausging, stand
           ren Flughafen-Entwurf für München fertig   mus. Das ganze Geschehen – die tanzenden   ein Bankschalter zur Verfügung, damit man
           in ihren Schubladen. Einigen engen Mitar-  und zuckenden Beatfans, das Licht, die   auch noch den letzten Pfennig abheben
           beitern jedoch wurde bei diesen Höhenflü-  wechselnden Farben und die hämmernde   konnte. Vor dem Haus lenkte eine dreiein-
           gen langsam, aber sicher schwindelig, weil   Musik – verwandelten die Szene in einen   halb Meter hohe Hand aus Gips mit Gold-
           es darüber hinaus auch Ungereimtheiten zu   LSD-Traum.“ Das Blow Up war Deutschlands   überzug die Blicke auf sich – ähnlich dem
           geben schien bei den Finanzen und der Re-  erste Großraumdiskothek und einer der be-  heutigen „Walking Man“ der Münchner
           finanzierung und sich auch die angekün-  kannstesten Nachtclubs Europas. Bereits   Rückversicherungs-Gesellschaft ein paar
           digte Ausgabe von fadenscheinigen „Volks-  1972 schloss es seine Tore, heute befindet   Häuser weiter an der Leopoldstraße 36 –
           aktien“ verzögerte, um an frisches Kapital   sich dort das Kinder- und Jugendtheater   ein unverkennbares Symbol. Das war nicht
           zu kommen.                        am Elisabethplatz.                mehr das alte Schwabing, sondern ein
                                                                                 verrückter, internationaler Spielplatz auf
                                                                               breiter kommerzieller Grundlage. Die Città
           Verwirklichung: Drugstore         Verwirklichung: Città 2000        2000 konnte sich recht lang halten und
                                                                               eine schöne neue Konsumwelt vorgaukeln:
           An der Feilitzschstraße 12 am Wedekind-  An der Leopoldstraße 28 ⁄ Ecke Giselastraße   Erst 1980 stellte sie endgültig ihren Be-
           platz eröffneten die Könige des Schwabinger   eröffnete im Januar 1969 das Città 2000,   trieb ein, die symbolträchtige Hand mit ih-
           Nachtlebens im Juni 1967 das „Drugstore“   konzipiert als Stadt in der Stadt und sym-  ren fünf goldenen Fingern wurde verstei-
           als „Beatschuppen“, wie man eine Disko-  bolisierend das damalige Swinging Schwa-  gert und verschwand aus der Öffentlichkeit.
           thek oder einen Klub zu jenen Zeiten nann-  bing aus Schockfarben, Flower Power, Beat
           te. Das Lokal wurde zur lebenden Legende   und Pop sowie Freiheit von bürgerlichen
           der Flower-Power-Ära der „Hippies“ bezie-  Zwängen. In verschiedenen Lokalen und   Das 5. Polizei-Revier
           hungsweise „Blumenkinder“, die damals der  kleinen Geschäften konnte man sein Geld
           Devise folgten: Je bunter und greller, desto   ausgeben, wobei sich die neuartige „Dr.   Zuständig für Schwabing und damit auch
           besser. „Drugstore“ heißt auf Deutsch   Müllers Sex-Boutique“ besonderen Zulaufes   die Beobachtung und Verfolgung der dorti-
             eigentlich „Drogerie“, aber im damaligen   erfreute. Am Eröffnungstag jedenfalls   gen, ausufernden Rauschgift-Kriminalität
           Schwabing passte die Übersetzung   musste sie mehrmals wegen Überfüllung   war das 5. Polizei-Revier an der Leopold-
             „Drogenladen“ besser. Die zeitgemäße   geschlossen werden. Das Città 2000 ent-  straße 87 gegenüber der Einmündung der
             Eröffnung sah ein „Happening“, heute   wickelte sich schnell zu der Attraktion   Ungererstraße. Der „Münchner Merkur“
           „Event“, namens „Resozialisierung eines   Schwabings schlechthin, in der ein Repor-    berichtete am 4. November 1970 unter der
           Gammlers“, bei dem ein langhaariger   ter von der „Abendzeitung“ einen „Massen-  Überschrift „Hasch-Handel an jeder Schwa-
             „Hippie“ – damals landläufig auch „Gamm-  auftrieb von Münchens langhaarigen und   binger Ecke“ über „Merkur-Reporter mit
           ler" genannt – zur Freude der Menge öf-  kurz berockten Pop-People“ und ein   Schutzpolizei unterwegs“. Ein Polizist, der
           fentlich gebadet und in einen Anzug mit     „lebensgefährliches Gedränge“ ausmachte.   zu seinem eigenen Schutz anonym bleiben
           Krawatte gesteckt wurde. Nach Anusch   Ebenso galt das Etablissement in der Stadt   wollte, fasste die allgemeine Situation
           Samys vorzeitigem Tod übernahm sein en-  als Hauptumschlagplatz für Rauschgifte.     zusammen: „Wir leisten in bescheidenem
           ger Verwandter Jahangir Saffari das Lokal,   Die Città 2000 sollte die letzte Errungen-  Rahmen unseren Beitrag zur Lösung des
           das dann tatsächlich erst 2018 seine Pfor-  schaft des Gastro- und Gaudi-Imperiums   Rauschgiftproblems. Das heißt: Jährlich
           ten schloss. Der Schriftzug im zeitgenössi-  der Gebrüder Samy werden. Sie stellten es   werden zentnerweise Haschisch nach Mün-
           schen Stil prangt heute noch am Haus.  sich als Basar der modernen Konsumgesell-  chen eingeschleust, und das heißt: Jährlich
                                             schaft und Eldorado der Popkultur vor.   wird in Schwabing zentnerweise Haschisch
                                               Allein der Name sollte einen Vorgeschmack   konsumiert – minus der paar Kilo, die der
           Verwirklichung: Blowup            vermitteln vom urbanen Leben in naher   Polizei in die Hände fallen. Die Mittel, mit
                                               Zukunft, wie es nicht nur der strahlenden   denen wir vorgehen können, sind recht be-
           Das englische „Blowup“ bedeutet im Deut-  Olympiastadt von 1972 bevorstand. In   scheiden. Es ist Freitagabend, 30. Oktober.
           schen harmlos gemeint eigentlich „Krach“     einem raffiniert angelegten Labyrinth von   Der Wochenendbetrieb auf Schwabings
           oder „Vergrößerung“, im damaligen Schwa-  Räumen, Durchgängen, Gassen und Platt-  Straßen beginnt. Polizeihauptmeister
           bing hingegen eine „durch Rauschgift in-  formen auf verschiedenen Ebenen konnten   Braun – zivile braune Lederjacke, dezenter
           tensivierte Wahrnehmung“. Zur Eröffnung   die Kunden kaufen und konsumieren, was   Schnauzbart, knapp über zwanzig Jahre alt
           im Oktober 1967 traute sich auch jemand   seinerzeit gerade letzter Schrei war:   – und sein Kollege Schwarz (die Namen
           von der „Süddeutschen Zeitung“ in das   Hit-Platten und Hippie-Silberschmuck,   wurden von der Redaktion geändert) haben
           Chaos und berichtete seiner Redaktion:   Kleidung von der Londoner King’s Road,   mich auf eine Streife mitgenommen.“ ➔




                                                                                          JULI 2024 ⁄ TAXIKURIER ⁄ 31
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