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GESCHICHTE
➔ SCHWABING 1970
Kommerz und Drogen, Glanz und Absturz – Von Benedikt Weyerer
Es ist nun bereits mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen, dass eine Erkenntnis des Politikers, Wissenschaftlers
und insbesondere Dichters Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) wieder einmal aktuell wurde:
„Was glänzt, ist für den Augenblick nanzkunststücken zu beherrschen. Erschwe- Stadt 20 Restaurants verschiedenen Stils
geboren.“ Und dies galt nicht nur für rend kam das bald nachlassende Interesse und zur Abrundung ein Luxushotel eröff-
des Meisters Wirkungskreis im Thüringen des Publikums an den Pop-Palästen hinzu. nen.“ Auf der Isar wollte er ein Restaurant-
des 19. Jahrhunderts, sondern auch für Anstatt eines Millionenvermögens hatten Schiff verankern, das nur Meerestiere wie
unser Schwabing des 20. Jahrhunderts. Timur und Anuschs ahnungslose Witwe nur Hummer und Austern servieren sollte, wozu
Schulden geerbt. Diese hatten schon lange er in Paris bereits einen abgewrackten
nicht mehr zurückgezahlt werden können, Kahn gekauft hatte, der allerdings die Ge-
Die „Könige von Schwabing“ allzu viele Kreditgeber und Kleinanleger wässer der dortigen Seine nie verlassen
verlangten ihr Geld zurück und alle Vergnü- sollte. Im Englischen Garten wollte er auf
Die Brüder Anusch (1935–1970) und Timur gungsstätten der Brüder gingen in andere eigene Kosten den Chinesischen Turm ab-
Samy (1940–2004) wurden im Iran einer Hände über. Nicht mehr im Porsche, son- reißen lassen, um ihn originalgetreu als
deutschen Mutter und einem persischen dern auf dem Fahrrad bewegte sich Timur größtes China-Restaurant Europas wieder-
Vater geboren, ähnlich der zweiten Frau jetzt durch Schwabing. Er musste nun alles aufzubauen. In einem Japanischen Bad
des Schahs von Persien Reza Pahlevi verkauften, was nicht niet- und nagelfest sollten originale Geishas von den fernöstli-
(1919–1980), Soraya Esfandiary-Bakhtiary war. Ihm blieben nur der Offenbarungseid chen Inseln Männer massieren und ihnen
(1932–2001), deren Mutter Deutsche und und der Rückzug in eine Kommune, wo er danach Tee servieren. Hierbei verkannten
deren Vater Perser war. Nebenbei bemerkt, und seine letzten Anhänger sich in weiße die Beiden allerdings offenbar, dass japani-
liegt Soraya mit ihrer elterlichen Familie Gewänder hüllten, den Weltfrieden predig- sche Geishas keine Dienerinnen in Sachen
auf dem Münchner Westfriedhof begraben ten und selbst gebraute Getränke und Sex, sondern kultivierte Unterhalterinnen
(Gräberfeld 143-A-17). Doch zurück zu den Drogen genossen. Die Mutter überwies sind. Zwischen den Münchner Amüsierbe-
Gebrüdern: In zwei Kulturen aufgewachsen, 300 Mark im Monat an den verlorenen trieben sollten Busse pendeln. In acht wei-
trieben sie als Geschäftsleute in West- Sohn. Ein Reporter spürte ihn 1997 in Süd- teren deutschen Städten sowie in Brüssel
deutschland und hier insbesodere in Mün- spanien auf, als Mensch vereinsamt, aber und Amsterdam wollte Anusch nun „den
chen ihr Wesen – anfangs als Teppichhänd- in Gesellschaft von geschätzt 50 Katzen Laden umkrempeln“. Eine Kette von „Ver-
ler und dann als Erfinder der Minicars, eine und einem ausgemergelten Pferd, gekleidet gnügungsmärkten neuen Stils“ befände
Firma, die wie die heutigen Uber & Co. wie ein alter Revoluzzer. Der finanziell ab- sich bereits im Aufbau, alle sollten sie
Fahrzeuge vermittelte, die mit Fahrer ge- gestürzte Vizekönig von Schwabing hatte „Città 2000" heißen. In jede Filiale wollte
mietet werden konnten. Beispielsweise alles verloren und verstarb schließlich im er zwei Millionen Mark stecken. Sechs Milli-
stellten sich deren Lenker während des Ok- Jahr 2004 in trostloser Anonymität. Das onen waren bereits investiert. Einen verita-
toberfestes in der Nähe der Theresienwiese sind die Geschichten, wie sie manchmal blen Großangriff auf das ganze System
auf, um alkoholisiertes Publikum zu beför- wohl nur das Leben schreiben kann, und plante Anusch, während sich Temur im
dern. Die bald als „Goldfinger“ und „Könige man kennt sie auch aus heutigen Zeiten, Schlepptau seines Bruders ziehen ließ. Vor
von Schwabing“ bekannten Unternehmer beispielsweise aus Österreich. Journalisten kündigte Anusch drohend und
überzogen ihr Revier mit etlichen Vergnü- großspurig an, dabei immer ans große Geld
gungsstätten. Während der jüngere Temur denkend: „Wir brechen aus dem erstarrten
als großer Träumer im Münchner Monopoly Visionen System aus, wir mobilisieren die Jugend.“
mitspielte, sorgte sein älterer Bruder
Anusch, der sein Maschinenbaustudium an Ende der 1960er-Jahre waren die Brüder zu In München und Oberbayern setzten die
der Technischen Hochschule, der heutigen folgender, tief schürfenden und schließlich Brüder auf bislang nicht gekannte Expan-
Technischen Universität, abgebrochen hat- kurzfristig erfolgreichen Erkenntnis ge- sion. Nachdem sie mit ihrem siebten Lokal
te, knallhart fürs Geschäft. Als aber Anusch langt: „Schwabing ist wie eine Frau. Wenn namens „Bouillabaisse“ in die Innenstadt
Samy 1970 mit seinem Privatflugzeug auf sie schön und attraktiv ist, kommen viele vorgestoßen waren und in Bad Wiessee ei-
dem Weg zum standesgemäßen Skiurlaub Verehrer. Dieses ständige Rendezvous ist nen ersten „VIP-Club“ eröffnet hatten, galt
ins noble Sankt Moritz ums Leben kam, unser Geschäft.“ Und diese Erkenntnis es jetzt, „Schwabing zu sozialisieren“. Das
zeigte sich sein Bruder Timur nicht in der brach sich beim geschäftstüchtigen Anusch begann auf dem „Boulevard Leopold“ mit
Lage, das Party-Imperium mit seinem kom- Samy im November 1967 Bahn in folgenden der volkstümlichen, 400 Plätze großen
plizierten Geflecht aus Krediten und Fi- Visionen: „Ich werde zunächst in dieser „Brez’n“ an der Leopoldstraße 72. Das
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