Page 16 - Taxikurier Mai 2022
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RECHTSPRECHUNG
istockphoto ➔ URTEILE
Auch in verkehrsberuhigtem Bereich gelten beim
Ein- und Aussteigen strenge Sorgfaltsmaßstäbe
Erheblich überhöhte Geschwindigkeit des vorbeifahrenden
Fahrzeugs begründet Mithaftung
Auch in einem verkehrsberuhigten Bereich gelten beim Ein- und Aus-
steigen die strengen Sorgfaltsmaßstäbe aus § 14 Abs. 1 StVO. Fährt
das vorbeifahrende Fahrzeug mit erheblich überhöhter Geschwindig-
TAXIKURIER: Fahrten zu einem Bankhaus gehören zu unserem keit, so begründet dies eine Mithaftung wegen der erhöhten Be-
Tagesgeschäft. Sicher ist nicht jeder Auftrag mit einer Straftat in triebsgefahr des Fahrzeugs. Dies hat das Landgericht Saarbrücken
Verbindung zu bringen. Wie können die Fahrer*innen eine solch entschieden. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Saar-
verdächtige Situation erkennen? land kam es in einem verkehrsberuhigten Bereich zu einer Kollision
zweier Fahrzeuge, als ein Taxifahrer aus seinem am rechten Fahr-
MICHAEL RIEHLEIN: Folgenden Feststellungen können auf eine bahnrand geparkten Fahrzeug steigen wollte, dazu die Fahrzeugtür
verdächtige Kurierfahrt hinweisen: öffnete und dabei gegen ein gerade vorbeifahrenden Renault stieß.
Der Taxifahrer hatte beim Aussteigen den Blick zu seinem rechts sit-
➔ Der Fahrtauftrag wird telefonisch erteilt. zenden Passagier gerichtet. Den rückwärtigen Verkehrsraum beobach-
➔ Beim Fahrgast handelt es sich auch hier meist tete er nicht. Die Fahrerin des Renault erhob Klage auf Zahlung von
um lebensältere Menschen. Schadensersatz gegen den Taxifahrer und dessen Haftpflichtversiche-
➔ Die Opfer sind wahrscheinlich in ein Dauertelefonat rung. Das Amtsgericht Merzig gab der Klage statt. Dagegen richtete
mit den Tätern gebunden. sich die Berufung der Beklagten. Sie verwiesen unter anderem dar-
➔ Die Täter fragen dabei ab, ob irgendetwas verdächtig auf, dass die Renaultfahrerin mit 20 km ⁄ h und damit mit deutlich zu
erscheint, ob der ⁄ die Taxifahrer*in Fragen stellt, hoher Geschwindigkeit gefahren sei.
oder ob dem Taxi gefolgt wird.
➔ In einigen Fällen halten die Betroffenen das Mobiltelefon nur
in der Hand, sind aber trotzdem mit den Tätern verbunden. Anspruch auf Schadensersatz wegen Sorgfaltsverletzung
➔ Der Fahrgast wirkt auf Ihr Ansprechen nervös, des Aussteigenden
kurzsilbig und aufgeregt.
➔ Das Fahrtziel der Rückfahrt steht noch nicht fest Das Landgericht Saarbrücken entschied zu einem Teil zu Gunsten
oder wird den Opfern telefonisch vorgegeben. der Beklagten. Der Klägerin stehe zwar grundsätzlich ein Anspruch
auf Schadensersatz zu. Denn dem Taxifahrer sei ein unfallursächli-
Sollten Sie solche Feststellungen machen, verständigen Sie bitte cher Sorgfaltsverstoß anzulasten. In einem verkehrsberuhigten Be-
unauffällig den Notruf der Polizei 110. Vorsicht, die Täter hören reich treffe dem Aussteigenden im Rahmen des allgemeinen Rück-
wahrscheinlich mit dem Handy des Opfers mit. Achten Sie darauf, sichtnahmegebots nach § 1 Abs. 2 StVO die Pflicht, sich vor dem
sich dabei nicht selbst zu gefährden. Geben Sie bei der Polizei Türöffnen zu vergewissern, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer
an, dass Sie vermutlich gerade eine Kurierfahrt „falscher Polizei- durch das Türöffnen geschädigt wird. Dabei können die strengen
beamter“ durchführen. Die Notruf-Zentrale der Polizei wird Ihnen Sorgfaltsmaßstäbe aus § 14 Abs. 1 StVO, die im fließenden Verkehr
weitere Anweisungen geben. gelten, sinngemäß herangezogen werden. Diese Sorgfaltspflichten
habe der Taxifahrer nicht beachtet.
TAXIKURIER: Welche Folgen hätte es, sollte sich herausstellen,
dass sich der ⁄ die Fahrer*in geirrt hat und damit fälschlicher Weise
einen Polizeieinsatz ausgelöst hat. Mithaftung von 25 % wegen deutlich überhöhter
Geschwindigkeit
Nur mit Ihrer Sensibilität und Hilfe können wir solche Straftaten
aufdecken. Ein gut gemeinter Anruf bei der Polizei hat keine nega- Die deutliche Geschwindigkeitsüberschreitung der Klägerin sei
tiven Folgen. Zögern Sie nicht und wählen Sie die 110. Schon eini- nach Auffassung des Landgerichts zwar nicht unfallursächlich ge-
ge Ihrer Kollegen*innen konnten dabei helfen, solche Opfer vor wesen. Jedoch habe dies die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs er-
dem finanziellen Ruin zu bewahren. Dafür konnten in den letzten höht. Ihr sei daher eine Mithaftung in Höhe von 25 % anzulasten.
Jahren sogar mehrere Belobigungen ausgezahlt werden. Vielen
Dank dass Sie mithelfen! (TK) (Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 11.02.2022 – 13 S 135 ⁄ 21)
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