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STADTKUNDE MÜNCHEN
➔ VON EDELMINERALIEN BIS ZUM GOLD
Wohnsiedlung Ludwigsfeld und Städtisches Wohnlager Frauenholz
Ludwigsfeld ist ein Stadtviertel im Nordwesten von München, im Stadtbezirk 24, Feldmoching-Hasenbergl.
Nach Kriegsende im Mai 1945 prägten ein- Regierungslager Ludwigsfeld mendes Schild mit der Aufschrift „Wohnsied-
zelne Baracken und ganze Barackensiedlun- lung Ludwigsfeld“ erblicken. Die Baracken
gen überall das Bild der deutschen Städte, Der am 19. September 1945 wieder gegrün- verschwanden seit 1952 nach und nach und
natürlich auch in München. Ganz weit dete Freistaat Bayern und später die am wurden ersetzt durch die heute noch beste-
außerhalb, aber noch innerhalb der poli- 23. Mai 1949 neu entstandene Bundesrepu- henden, inzwischen renovierten Gebäude. Ab
tischen Grenzen der Stadt gab es zwei gro- blik Deutschland übernahmen die Baracken. September 1952 konnte diese größte Sied-
ße von ihnen, nämlich an der Dachauer Viele der nunmehr ehemaligen Gefangenen lung für Displaced Persons in der Bundesre-
Straße das ehemalige Konzentrationslager verließen, so schnell es ging, nach ihrer Be- publik Deutschland von der multikulturellen
der Firma BMW und an der Schleißheimer freiung das Lager, wanderten in perspektiv- Bewohnerschaft aus den Baracken bezogen
Straße das Barackenlager der Fliegertech- reichere Länder außerhalb Europas aus oder werden. Die Architektur entspricht nordame-
nischen Schule des Militärflugplatzes kehrten in ihre Heimatländer zurück. Aber rikanischen Vorstellungen von Wohnanlagen,
Schleißheim. Etliche Straßennamen als viele konnten und wollten nicht zurückkeh- wie man sie auch von den ehemaligen Sied-
Botschafter aus der Vergangenheit weisen ren, denn sie stammten aus den sowjetisch lungen der US-Armee im Perlacher Forst und
dort auch heute noch auf die Existenz kontrollierten Gebieten Europas. Dort galten entlang der Rockefellerstraße aus derselben
dieser Lager hin, wenn auch nur indirekt. nach offizieller Lesart Menschen, die ihre Zeit kennen: Die Häuser stehen in aufgelo-
Gefangenschaft in Deutschland überlebt hat- ckerter, oft geschwungener Formation zuein-
ten, als Kollaborateure der Nationalsozialis- ander und lassen zwischen sich viel Platz für
KZ-Außenlager Allach ten und damit als Vaterlandsverräter und Grünflächen und Spielplätze. In die neuen
wurden in ihrer Heimat sozusagen als Strafe Häuser zogen Menschen aus 28 Nationen:
Im Rahmen der Vorbereitungen zum Zwei- in die dortigen Konzentrationslager gesteckt. Deutsche, Esten, Kalmücken, Kaukasier, Ko-
ten Weltkrieg (1939-1945) entstand seit Die Baracken blieben also teilweise weiter- saken, Kroaten, Letten, Litauer, Mongolen,
1935 in Allach an der Dachauer Straße 665 hin von ihren Insassen bewohnt, und es ge- Polen, Russen, Serben, Slowaken, Tartaren,
und 667 ein neues Flugmotorenwerk der sellten sich viele andere Menschen hinzu, die Tschechen, Turkmenen, Ukrainer, Ungarn,
Firma BMW, in dem heute MTU und MAN der Krieg zu heimatlosem Strandgut gemacht Weißrussen – um einige zu nennen. Ange-
produzieren. Die Fertigung begann im Jahr hatte: deutsche Vertriebene und Flüchtlinge, sichts dieser Internationalität beschloss der
1938 und seit Kriegsbeginn im September jüdische Überlebende aus ganz Europa, Stadtrat in seiner Sitzung vom 2. Oktober
1939 wurden zunehmend Kriegsgefangene, Kriegsverbrecher aus den sowjetischen Ein- 1952: „Für die Straßenbenennungen im Re-
aber auch Häftlinge aus dem Konzentrati- flussgebieten wie dem Baltikum und der gierungslager für heimatlose Ausländer wer-
onslager Dachau in der Produktion und zur Ukraine, aber auch Mongolen, Kirgisen, Kau- den für Ausländer leicht verständliche Namen
Erweiterung der Anlagen eingesetzt. BMW kasier und Russen, die als Soldaten der von Edelmineralien verwendet.“ Seitdem gibt
unterhielt dafür seit 1943 ein eigenes Kon- Wehrmacht gegen das Reich Stalins und des- es also Achatstraße, Diamantstraße, Granat-
zentrationslager auf der anderen Straßen- sen Terror gekämpft hatten, die sogenannten straße, Kristallstraße, Onyxplatz, Opalstraße,
seite für rund 10.000 Häftlinge aus vielen „Displaced Persons“, die Entwurzelten. Kurz: Rubinstraße sowie Smaragdstraße. Aufgelas-
vom Deutschen Reich eroberten Staaten. In dem Barackenlager in Allach bildete sich sen wurden zwischenzeitlich die Saphir-
Die dortigen Arbeits- und Lebensbedingun- eine hoch brisante Bewohnerschaft aus Op- straße, Topasstraße und Turmalinstraße
gen waren derart brutal, dass Massen von fern und Tätern, die eng auf eng im Nach- im östlichen Bereich der Siedlung, wo bis
Leichen in das Krematorium des KZ Dachau kriegschaos lebten. Arbeit erhielten die 1964 bewohnte Baracken stehen geblieben
gebracht und dort verbrannt wurden. Am meisten von ihnen gleich gegenüber bei waren.
30. April 1945 erreichten US-Soldaten das BMW und der US-Armee, wo insgesamt 6.500
Werk und sein Lager. Wegen der grassieren- Menschen Beschäftigung fanden.
den Seuchen durften die soeben Befreiten Barackenlager Frauenholz
noch einige Zeit das Lager nicht verlassen,
während das weitgehend unzerstört geblie- Wohnsiedlung Ludwigsfeld Beidseitig der Schleißheimer Straße entstand
bene Werksgelände zum weltweit größten im Jahr 1937 das Barackenlager für die Teil-
Reparaturbetrieb der US-Armee für Panzer, Von der Dachauer Straße auswärts kommend, nehmer der Fliegertechnischen Schule des
Geschütze und Lastwagen umfunktioniert biegt man rechts in die Kristallstraße ein Militärflugplatzes Schleißheim. Mit Kriegs-
wurde. Die Firma BMW führte diese Arbei- und kann direkt an der Kreuzung, kurz vor ende 1945 büßte es seine Funktion ein und
ten für die US-Armee aus. dem Taxistand, ein original von 1952 stam- wurde nun von den Vereinten Nationen, von
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