Page 30 - Taxikurier Januar 2023
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STADTKUNDE MÜNCHEN

            ➔ NICHTS NEUES UNTER DER SONNE





           Von Benedikt Weyerer



           Weihnachtstumulte 1830 und Schwabinger Krawalle 1962. Im Jahr 1830 drängten sich rund 72.000 Einwohner hauptsächlich
             innerhalb des heutigen Altstadtringes in der eng bebauten Stadt München zusammen. Die ersten Vor-Städte entstanden bereits
           mit der Maxvorstadt, Isarvorstadt, dem Lehel und der  Ludwigsvorstadt. Das Militär war strategisch günstig am Rand der Altstadt
           stationiert, und zwar in der Kreuzkaserne am Karlstor, in der Kaserne am Kosttor sowie in der Isarkaserne auf der Kohleninsel,
           heute Standort des Deutschen Museums.


           In der Mitte der Stadt befand sich an der   vor dem Wachlokal zu randalieren. Viele   auf 400 Soldaten durch die sofortige Einbe-
           Weinstraße die Hauptwache der Polizei.   junge Leute strömten nun plötzlich wie aus   rufung von Beurlaubten. Er begründete die
           Dies alles erschien notwendig, um die da-  dem Nichts herbei, um die Gefangenen zu   Maßnahme folgendermaßen, übertragen in
           maligen, politisch instabilen Verhältnisse   befreien. Die Situation erschien dem Wach-  heutiges Deutsch: „Da sich diese Vorfälle
           unter Kontrolle zu halten. Am Un-heiligen   habenden so bedrohlich, dass er die Be-  nun schon einige Tage immer wieder erneu-
           Abend 1830 war es wieder einmal so weit.      waffnung der Soldaten anordnete. Schließ-  ern und die Sache einen ernsteren Charak-
                                             lich begab sich der Stadtkommandant zur   ter anzunehmen scheint, so halte ich es
                                             Karlstorwache, um die Situation zu ent-  für meine Pflicht, die Verfügung zu treffen,
           Das Revolutionsjahr 1830          schärfen. Nun wurden die Arrestanten,   dass die Wachmannschaften mit scharfen
                                               deren Personalien inzwischen bekannt wa-  Patronen versehen und derlei auch an
           Im Jahr 1830 brach in Frankreich die Ju-  ren, wieder auf freien Fuß gesetzt und die   sämtliche Regimenter für die anderen
           li-Revolution aus und in Polen erhob sich   Studenten zogen friedlich ab. Diese Vor-  Mannschaften zur allenfalls notwendig
           die Bevölkerung gegen Russland, zu dem   kommnisse am Heiligen Abend waren aber   werdenden Verteilung abgegeben werden.
           das Land damals gehörte. Dies hatte auch   nur das harmlose Vorspiel zu den eigent-  Für die Nacht wird ein Zug Soldaten gesat-
           Auswirkungen auf das Königreich Bayern,   lichen Weihnachtstumulten, die in der   telt unter dem Kommando eines Offiziers
           dessen Herrscher Ludwig I. (1786–1868,   Nacht vom 26. auf den 27. Dezember 1830   zur Verwendung bereitgehalten werden.“
           Ludwigstraße von 1822) selbst nun um   begannen. Anzumerken ist noch, dass da-
             seine Herrschaft fürchtete. Als Ursache    mals Soldaten und Polizisten dieselben
           des Übels betrachtete der misstrauisch   Ordnungs-Aufgaben erfüllten.  Kritik
             ge wordene Monarch die Presse, deren
           schnelle Ausbreitung und respektlose Spra-                          Von ziviler Seite wurde der Einsatz der
           che er als Ergebnis zu großer Milde einer-  Die Nacht vom 26. zum 27. Dezember  Truppe auf dem Schrannenplatz als über-
           seits und schamloser Ausnutzung königli-                            harte Reaktion kritisiert. Der eigentliche
           cher Großzügigkeit andererseits deutete.   Eine routinemäßige Patrouille aus fünf Sol-  Militäreinsatz sei erst erfolgt, als unbetei-
                                             daten stieß beim heutigen Jagdmuseum   ligte Passanten auf das Auftreten der Sol-
                                             auf eine Schlägerei zwischen rund 30 Stu-  daten betont lässig und spöttisch reagiert
           Die Weihnachtstumulte von 1830    denten und Handwerkern, ein damals all-  hätten. Daraufhin seien Soldaten aus der
                                             tägliches Vorkommnis. Die Soldaten misch-  Hauptwache kommend über die Zivilisten
           Eine Stunde vor der Christmette am    ten sich ein, um zu schlichten, mit dem   hergefallen. Sogar die Polizeidirektion er-
           24. Dezember 1830 zogen einige Studenten   Ergebnis, dass sich die Streithähne plötz-  kannte später: „Das Militär soll sich bei
           lärmend durch die Rosenstraße, über den   lich solidarisierten und gemeinsam gegen   diesem Vorfall so grell und übereilt benom-
           Schrannenplatz (seit 1854 Marienplatz)   das zahlenmäßig unterlegene Militär vor-  men haben, dass dieses Verfahren mehr
           und durch die Kaufinger- und Neuhauser   gingen. Darauf zog sich die Patrouille an-  zur Erbitterung der Gemüter beiträgt und
           Straße zum Karlstor. Ein konkreter Grund   gesichts der zivilen Übermacht über den   eher zu größeren Exzessen als zur Ordnung
           für dieses provokative Verhalten ließ sich   Schrannenplatz in Richtung der Haupt-  und Ruhe führt.“
           nicht erkennen. Auf alle Fälle erregte der   wache in der Weinstraße zurück, wobei sie
           Lärm den Unwillen von Bürgern, die sich   sich die Randalierer mit aufgepflanzten Ba-
           zum Gottesdienst begaben. Auf deren Ver-  jonett auf Abstand hielten. Anschließend   Die Auseinandersetzungen in der
           langen verhafteten Soldaten der Militär-  zogen die vereinten Streithähne zur Haupt-  Nacht zum 28. Dezember
           wachmannschaft am Karlstor vier Studen-  wache, um sie zu stürmen, worauf es auf
           ten, die sich weigerten, ihre Personalien   dem Schrannenplatz zu einem blutigen   In der Nacht vom 27. auf den 28. Dezem-
           feststellen zu lassen. Die Übrigen verlang-  Handgemenge unter Einsatz von Stichwaf-  ber kam es erneut zu einem größeren
           ten die sofortige Freilassung ihrer Kollegen.  fen kam. Der Stadtkommandant erhöhte     Tumult. Der Kommandant der Hauptwache
           Als dies verweigert wurde, begannen sie   daraufhin den Präsenzstand der Infanterie   berichtete: „Die vergangene Nacht ver-




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