Page 29 - Taxikurier Juli 2023
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‚Damen ohne Begleitung erwünscht.‘ und   US-Siedlung              Die Bundeswehr
           aus den Fenstern tönen die amerikanischen
           Musik-Automaten.“ Am Anfang der Heide-  Von den bereits genannten, oft problemati-  Mit der Bundeswehr zogen ruhigere Zeiten
           mannstraße haben sich einige dieser   schen Kontakten zur Bevölkerung abgese-  in der Gegend ein. Die Bundeswehr über-
             Kaschemmen als Gebäude bis heute erhal-  hen, lebten die US-Soldaten in ihrer eige-  nahm 1969 die Henry-Barracks an der Hei-
           ten, damals trugen sie Bezeichnungen    nen Welt in abgesperrten Wohnvierteln:   demannstraße 50 als Bayern-Kaserne und
           wie „Casanova Club“, „Times Square“ oder   Eigene Zeitung („The Munich American“),   blieb dort bis 2011. Die Will-Barracks an
           „Dolly Bar“.                      eigener Rundfunksender („American Forces‘   der Ingolstädter Straße 240 wurde 1969
                                             Network“, AFN), gesonderte Schulen und   zur Fürst-Wrede-Kaserne und beherbergt bis
                                             selbst eine eigene „University of Maryland“   heute verschiedene Dienststellen der Bun-
           Kieferngarten- und Gruson-Siedlung  an der Peter-Auzinger-Straße, außerdem   deswehr, insbesondere aber die Feldjäger,
                                             eine eigene Versorgung mit Lebensmitteln   die Militärpolizei. Die Warner-Barracks wur-
           Nördlich der Heidemannstraße wurden ab   und allen sonstigen Gütern des täglichen   de 1968 ebenfalls von der Bundeswehr
           1946 auf Teilen des ehemaligen Truppen-  Bedarfs, die per Schiff direkt aus den USA   übernommen und ist seit 1971 als Ernst-
           übungsplatzes auf der Fröttmaninger Heide   über Bremerhaven importiert wurden. Beid-  von-Bergmann-Kaserne mit der neuen
           zwei Siedlungen errichtet, die Kieferngarten-   seitig der Neuherbergstraße entstand im   Hauptwache an der Neuherbergstraße 11
           Siedlung im Osten und die Gruson-Siedlung   Jahr 1954 die Siedlung an der Rockefeller-  die Sanitätsakademie der deutschen
           im Westen.                        straße, der Mortonstraße sowie am Morse-    Streitkräfte.
                                             ring. In dieser Siedlung spiegelt sich die
           Auf dem Gelände standen Sprengstoffbun-  hierarchische Befehlsstruktur einer jeden
           ker, die nach 1945 nicht mehr gebraucht   Armee wider: Während die Masse der Mann-
           und von der US-Armee gesprengt wurden.   schaften zusammengepfercht in der Warner-
           Auf den übrig gebliebenen Fundamenten   Barracks hauste, lebten die mittleren
           errichteten Flüchtlinge und Ausgebombte   Dienstgrade mit ihren Familien in den Woh-
           nicht genehmigte Schwarzbauten, die fast   nungen an der Rockefellerstraße und am
           800 Menschen Unterkunft boten und später   Morsering und die Offiziere residierten mit
           legalisiert wurden. Erst im Jahr 1950 er-  ihren Angehörigen in den großzügigen
           hielten die Verkehrswege Bezeichnungen,   Doppelhaushälften an der Mortonstraße,
           und zwar mit ausgesprochen ländlichem   von denen nur noch einige stehen. Hier die
           Charakter beziehungsweise was man sich   vom Stadtrat beschlossenen Erklärungen
           unter ländlich vorstellte: Kieferngarten-  der drei Straßennamen, die sich auf die
           straße (erklärt mit: „Nach dem früheren   USA beziehen: Rockefellerstraße von 1954:
           Landschaftscharakter diese Gebiets“),   „John Davison Rockefeller stiftete über
           Schlößlanger („Nach einem alten Flur-  500 Millionen Dollar für die Wissenschaft,
           namen; zu Anfang des 18. Jahrhunderts   für caritative, pädagogische und philanth-
           war ein Johann Georg Schlößl Verwalter   ropische Zwecke. Geboren 8.7.1839 in
           der kurfürstlichen Schwaige Sankt Georg    Richmond (New York), gestorben 23.5.1937
           in Milberthofen“), Flecklanger („Örtliche   in Ormond Beach (Florida). Mit den Mitteln
           Flurbezeichnung“), Gassenfleckl („Alte   der Rockefeller-Stiftung ist auch das Ge-
           Flurbezeichnung“) oder Schmidbartlanger   bäude der Forschungsanstalt für Psychiatrie
           („Örtliche Flurbezeichnung“).     in München [an der Kraepelinstraße 2]
                                               erbaut worden.“ Morsering von 1954:
           In den Akten vom 9. Februar 1950 heißt es   „Samuel Finley Breese Morse, Erfinder des   Heute
           dazu: „In der bekannten zukünftigen Gar-  Morse-Alphabets (1832) und des Morse-
           tensiedlung auf dem ehemaligen Schieß-  Telegrafen (1. Telegramm am 27.5.1844    Die beiden Standorte der Bundeswehr sind
           platz Freimann sind 51 Wege zu benennen.   auf der Strecke Washington-Baltimore. Die   zwar erhalten geblieben, beherbergen aber
           Die Namen werden genommen: a) aus in   Morseapparate sind heute noch in Betrieb.)   keine Kampfeinheiten mehr. Die Panzer-
           der Siedlungen vorhandenen, jedoch amt-  Geboren 27.4.1791 in Charleston (Massa-  wiese trägt nur noch ihren kriegerischen
           lich nicht erteilten Bezeichnungen; b) nach  chusetts), gestorben 27.4.1882 in Concord   Namen und dient nun ansonsten als aus-
           Flurnamen der  engeren Umgebung.“ Zwi-  (Boston).“ Sowie die Mortonstraße von   gedehntes Naherholungsgebiet zivilen
           schen diesen beiden Siedlungen entstand   1956 „William Thomas Green Morton, Zahn-    Zwecken. Nördlich der Heidemannstraße
           Mitte der 1980er Jahre eine Wohnanlage,   arzt, Pionier der Narkose, geboren 9.8.1819   haben sich nach dem Krieg Wohngebiete
           deren Straßen an Komponisten erinnern,   in Charlton, gestorben 15.7.1868 in New   entwickelt und südlich von ihr entsteht auf
           etwa der Carl-Orff-Bogen von 1985: „Gebo-  York. Der Amerikaner Morton wird zu den   dem Gelände der ehemaligen Bayern-Kaser-
           ren 10.7.1895, gestorben 29.3.1982 in   ‚Großen der Welt‘ gezählt. Er ist Pionier der   ne ein neuer Stadtteil mit dem Namen
           München, deutscher Komponist. Von ihm   schmerzfreien Behandlung, der Narkose, da   „Neu-Freimann“. Bis 1913 trug eine kleine
           stammt das ‚Schulwerk‘, das dem Kind die   ihm am 30.9.1846 durch Anwendung von   Ansiedlung nördlich der Kreuzung des
           Musik ohne Belastung durch technisch   Äther der erste schmerzfreie Eingriff ge-    heutigen Frankfurter Ringes mit der Ingol-
           schwer zu handhabende Instrumente   lang. In den amerikanischen Kliniken wird   städter Straße diesen Namen. Die Adressen
             nahebringen soll. Er war Ehrenbürger der   heute noch jährlich ein ‚Äthertag‘ gefeiert.   wurden anlässlich der Eingemeindung
           Stadt München und Ehrenmitglied der   Bahnbrechend war Morton auch in der     Milbertshofens im Jahr 1913 in die Ingol-
             Bayerischen Staatsoper.“        Zahntechnik.“                     städter Straße einbezogen.




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