Page 28 - Taxikurier Juli 2023
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Deutsche und „Amis“: den 64 Überfällen des Jahres gingen allein Deutsche und „Amis“: Halbwelt
Einseitige Bewunderung 53 auf das Konto von Angehörigen der Be-
satzungsmacht. Am 24. November 1949 Am 22. Juli 1954 schrieb die „Süddeutsche
Die Anwesenheit der US-Armee bot Sicher- fand eine Protestveranstaltung der Taxi- Zeitung“: „Verbotene Spiele im Schatten
heit gegen die gefürchteten sowjetischen Ruf eG, wie die Genossenschaft damals der Kasernen. Etwa 1.500 Kinder wohnen
Streitkräfte, gegen die das Deutsche Reich hieß, im Augustiner-Keller mit deutsche im Schatten der Freimanner Kasernen.
kurz zuvor im Zweiten Weltkrieg (1939– Behörden, dem Land- und Stadtrat, aber Eines von ihnen, der kleine W.S., wurde
1945) gekämpft und verloren hatte und die auch mit der Militärregierung statt, wobei vor Tagen auf schreckliche Weise ermordet.
Bundeswehr stellte sich erst seit 1955 auf. diese Besserung gelobte, aber dann doch Viele dieser Kinder laufen den Soldaten
Der materielle Überfluss der US-Army und nicht durchsetzen konnte. So berichtete nach, betteln, machen kleine Geschäfte,
ihre militärische Stärke erregten Bewunde- beispielsweise die „Süddeutsche Zeitung“ erlernen den Schwarzhandel und unterhal-
rung und damit Distanz, aber auch Neid, am 12. Juli 1954: „Der Mörder übernahm ten sich auf der Straße laut über Vorfälle,
insbesondere weil die Streitkräfte keinen das Steuer. Münchner Taxichauffeur er- die alles andere als für ihre Fantasie zu-
Zweifel daran ließen, wer die wahren Herrn schossen aufgefunden. Täter in amerikani- träglich sind, deren Augenzeugen sie aber
im Land waren. Die Henry-Barracks an der scher Uniform.“ Zwei Tage später las man: täglich werden. Aber nicht nur die Kinder
Heidemannstraße 50 beherbergte nun In- „In ganz Oberbayern wird fieberhaft nach leben im Schatten der Kasernen, der Alltag
fanterie-Einheiten der 7. US-Armee. Über- dem Mörder des 60jährigen Taxichauffeurs der gesamten Siedlung dreht sich um die
all, wo US-Truppen im Ausland stationiert K.K. gefahndet. (…) Dabei kam man auf eingezäunten, riesigen Betonklötze, in de-
waren, wurde einmal im Jahr der „Armed den Sergeanten R. McMahan, der am 3. Juli nen an die 15.000 amerikanische Soldaten
Forces‘ Day“ begangen. An diesem Tag der desertiert ist.“ Aufgrund von Zeugenaussa- eng aufeinander liegen. Hemmungslose
Offenen Tür konnte sich die deutsche Be- gen konnte die Zeitung am 15. Juli 1954 Prostitution, Kuppelei und Schwarzhandel
völkerung in den Kasernen umsehen und melden: „Taximörder aus dem Bett geholt scheinen für viele im Umkreis der Ingol-
den amerikanischen Lebensstandard und in Herrsching. (…) aus dem Bett seiner städter Straße an der Tagesordnung zu
die Waffen bewundern. Der 17. Mai 1952 ‚Verlobten‘.“ Der Mörder war in der Warner- sein. Schon am Nachmittag kommen die
war wieder ein solcher Tag, die Henry- Barracks stationiert. ‚Fräuleins‘ mit den Omnibussen aus der
Barracks stand der deutschen Bevölkerung Stadt heraus, den Lippenstift dick aufgetra-
offen. Als Höhepunkt des Tages war ein Am 17. Juni 1956 ereignete sich ein gen, die Haare schwarz oder weißblond ge-
Panzermanöver mit scharfer Munition ge- Vorfall im Lokal „Hasenbräu“, das auch färbt. Am Abend sitzen sie zu Dutzenden in
gen einen ungenannt gebliebenen Feind den bezeichnenden Zweitnamen „Seven den Wirtschaften, in der Bar ‚Zum Siebten
auf der Panzerwiese angesetzt. Die Wo- Heavens Bar“ trug, und über den die Himmel‘ oder in der neuen Gaststätte am
chenzeitung des US-Militärbezirkes Mün- „Süddeutsche Zeitung“ am nächsten Tag Dornfinkenweg [seit 1996 Rose-Pichler-
chen „The Munich American“ berichtete schrieb: „Alle Gewalttaten, die sich Ange- Weg], die zwar noch keinen Namen hat,
ausführlich über die Waffenschau. Hunderte hörige der US-Streitkräfte in den letzten von den Siedlern aber mit einer nicht
von Menschen seien tief beeindruckt gewe- Wochen hatten zuschulden kommen lassen druckreifen Bezeichnung belegt wird.
sen vom hohe Stand der amerikanischen – Straßenraub, Taxiüberfälle und sogar der Noch abends nach zehn Uhr drängen sich
Technik. Mit offenen Mündern hätten sie Amoklauf eines Soldaten im Bahnhofvier- 13- oder 14jährige Buben durch die rau-
die gewaltigen Panzer angestarrt, die ein tel waren zu melden – wurden durch das cherfüllten Gastzimmer, handeln mit
Symbol für die Stärke der USA seien. Die Attentat überboten, das ein Besatzungs- Schnaps und amerikanischen Zigaretten.
Zuschauer hätten die Schlagkraft demonst- angehöriger verübte: Er warf eine Hand- Der Leiter des zuständigen Polizeireviers 7
riert bekommen, die einer ganzen Welt- granate in die Gaststätte Hasenbräu an berichtet, die Mädchen würden sich mit ih-
kriegs-II-Division entsprochen habe. der Heidemannstraße. 17 Personen, darun- ren Soldaten überall aufhalten: auf offenen
Besonders wirkungsvoll habe sich die ter fünf Frauen, wurden verletzt. Zwei Wiesen, in Schuttgruben, hinter Hecken.
simulierte Panzerschlacht den Besuchern schweben in Lebensgefahr.“ Oder die (…) Der Revierchef erklärte, zahlreiche
eingeprägt. „Abendzeitung“ meldete am 14. Juli 1956: Familien der städtischen Wohnsiedlungen,
„Die Übergriffe amerikanischer Soldaten die vor ihrem Umzug nach Freimann fast
gegen die deutsche Zivil bevölkerung ha- ausschließlich in Elendsquartieren lebten,
Deutsche und „Amis“: Kriminalität ben einen solchen Umfang angenommen, hätten durch die Untervermietung eines
dass die Sicherheit auf unseren Straßen Raumes ihrer kleinen Zwei-Zimmer-Woh-
Die US-Streitkräfte suchten nur wenige praktisch aufgehoben ist. Den Polizeiein- nungen an ‚Fräuleins‘ erneut unhaltbare Zu-
Kontakte zur Bevölkerung in Deutschland. satz muss man in den gefährdeten Gebie- stände geschaffen und ihre Kinder sittli-
Allerdings galt dies nicht für alle Bereiche ten erheblich verstärken. Wozu haben wir cher Gefährdung ausgesetzt. (…) Zwei
des Lebens. Die Konzentration der US-Trup- Bereitschaftspolizei und Bundesgrenz- Beamte begleiten ständig die Militärpolizei
pen im Münchner Norden zeigte auch eine schutz?“ Man kann nur spekulieren, woher auf ihren Streifen. Auch die Polizei hält die
einschneidende Kehrseite, nämlich bei der diese Aggressivität vieler US-Soldaten Gefährdung der Kinder für außerordentlich
Kriminalität und den dunkleren Seiten des rührte. Vielleicht weil ihre Heimat in groß. Sie könnten nicht nur das Treiben
Lebens. Das Taxigewerbe beispielsweise Übersee lag und sie deshalb beispielswei- der Dirnen beobachten, sie würden den
klagte im Jahr 1949 über massive Probleme se ihre Wochenenden nicht daheim ver- Soldaten sogar bei ihren Ausmärschen
mit vielen US-Soldaten. Ständige Überfälle, bringen konnten wie später die Soldaten und Manöverübungen folgen, sich auf den
Zahlungsprobleme und sonstige Gewalt ge- der Bundeswehr. Oder es war der Korea- Biwakplätzen herumtreiben und durch das
gen Taxifahrer waren an der Tagesordnung, krieg von 1950 bis 1953, der vor ihnen Exerziergelände strolchen. Gerade dort sei
so dass hinter den Fahrern Trennscheiben lag, oder der Krieg in Vietnam, an dem die die Gefahr am größten. (…) Am Eingang
im Auto eingebaut werden mussten. Von USA seit 1958 immer stärker teilnahmen. des ‚Café Ingolstadt‘ hängt ein Schild:
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