Page 29 - Taxikurier Februar 2020
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Hinrichtungsstätten ab 1895 schließlich im neu erbauten Ge- aus anderen Gründen nicht mehr zuhause
fängnis an der Stadelheimer Straße 12. bleiben konnten, die heutigen Waisenkinder.
Zu allen Zeiten gab es Kriminelle und daher Nebenbei bemerkt erhielt der Begriff des Diese Kinder fanden notgedrungen Aufnah-
auch Verwahranstalten für sie, allerdings „Halsabschneiders“ im Laufe der Zeit die me in den Findlingsheimen, in denen sie
gab es zu allen Zeiten auch Menschen, die harm losere Bedeutung eines finanziellen angesichts ihrer Lebenssituation natürlich
zu Kriminellen erklärt wurden, obwohl sie Betrügers. nicht freiwillig lebten und einer äußerst
gar keine waren, etwa die als Hexen verfolg- strengen Disziplin unterworfen waren und
ten Frauen und manchmal auch Männer ähnlich Sträflingen einheitliche Kleidung
zwischen circa 1400 und noch bis Mitte des Der Irrenweg tragen mussten. Im Jahr 1819 wurden die
18. Jahrhunderts. Sehr häufig endete das verschiedenen Findlingsheime in München
Leben der zum Tode Verurteilten dann in Im Jahr 1859 entstand an der heutigen und den Vorstädten zusammgefasst und in
aller Öffentlichkeit auf dem Scheiterhaufen Kreuzung der Balanstraße mit der Auerfeld- einem Neubau an der Findling straße 5 zu-
oder am Galgen. In München fanden die straße die „Kreisirrenanstalt München“, zu- sammengelegt, einer Adresse, die bereits vor
Hinrichtungen auf dem zentralen, heutigen ständig für Oberbayern. Den Namen „Kreis- 1845 entstand. Dieses Waisenhaus erhielt
Marienplatz und später westlich außerhalb irrenanstalt“ führte sie, weil die heutigen dann einen 1899 eröffneten Neubau an der
der Stadtmauern statt: Seit dem 15. Jahr- bayerischen Regierungsbezirke damals noch 1902 benannten Waisenhausstraße und die
hundert gab es dort eine Hinrichtungsstätte „Kreise“ hießen. Eine rigide Disziplin und Findlingstraße erhielt 1901 ihre heutige
an der heutigen Grasserstraße, eine zweite Abgeschlossenheit ihrer Insassen herrschten Bezeichnung Pettenkoferstraße nach dem
an der heutigen Prielmayerstraße, wo die in diesen Einrichtungen. Am 6. Dezember soeben verstorbenen Hygieniker Max von
Enthauptungen vollzogen wurden und sich 1867 erhielt die Straße, die dorthin führte, Pettenkofer (1818–1901).
der Galgen sowie die Einrichtungen für das den Namen Irrenweg. Nach dem deutsch-
Rädern und Vierteilen befanden. Im Jahr französi schen Krieg von 1870 ⁄ 1871 ent-
1778 entstanden dort Lagerhäuser für Salz stand in Haidhausen das Franzosenviertel, Nikolaiplatz und Nikolaistraße
und die so genannte Kopfstätte wurde an benannt nach seinen Straßen, die an
die heutige Herbststraße verlegt. Zur Schlachten erinnerten, bei denen sich die Außerhalb der eng bebauten, alten Stadt
Abschreckung ließ man die Hingerichteten bayerische Armee siegreich gegen französi- mit ihren für heutige Verhältnisse katastro-
noch einige Tage am Ort ihres Lebensendes sche Einheiten auf französischen Territorium phalen hygienischen Verhältnissen entstan-
liegen beziehungsweise hängen und es geschlagen hatte. Diese Adresse gefiel nun den so genannte Leprosenhäuser, in denen
fan den sich Raben ein, um sich über die aus durchaus verständlichen Gründen den Menschen mit sehr ansteckenden Krankhei-
sterblichen Überreste herzumachen. Im Jahr Bewohnern der neuen Häuser nicht und sie ten leben mussten. Benannt waren sie nach
1854 nun ereignete sich Folgendes: Ein beantragten bei der Stadtverwaltung eine der Lepra, einer Infektionskrankheit mit
19-Jähriger sollte wegen Mordes öffentlich Benennung, die nach ihrem Empfinden posi- langer Inkubationszeit und langer Krank-
mit dem Schwert hingerichtet werden. Dem tiver war. Am 6. Mai 1879 wurde ihrer Ein- heitsdauer, heilbar erst seit den 1980er-
an sich erfahrenen Scharfrichter gelang es gabe stattgegeben und ihre neue Adresse Jahren. Seit Menschengedenken wurden
aber erst mit dem siebten Hieb, den Kopf lautete nunmehr Balanstraße nach der dorti- solche Erkrankte einer strikten Isolierung
vom Rumpf zu trennen. Darüber brachen bei gen Schlacht vom 1. September 1870 in unterworfen, um eine Ausbreitung der
den zahlreichen Schaulustigen Proteste aus Nordfrankreich. Krankheiten einzudämmen, und sie mussten
und einigen wurde sogar schlecht. Ab der sich von Wohnorten fernhalten. Als Schutz-
nächsten öffentlichen Hinrichtung kam seit- Das militärische Gemetzel kam der Anwoh- heiliger der Kranken galt Bischof Nikolaus
dem das Fallbeil zum Einsatz, weil dies als nerschaft offensichtlich weniger irre vor als von Myra aus dem 4. Jahrhundert. In Mün-
schnell, sicher und daher als besonders hu- der Bezug auf das Irrenhaus, das schließlich chen bestanden zwischen dem 15. und dem
man galt. Die letzte öffentliche Hinrichtung 1905 nach Haar-Eglfing verlegt wurde. 19. Jahrhundert, als die wissenschaftlichen
in München fand 1861 unter gewaltigem Fortschritte begannen, diese Krankheiten zu
Publikumsandrang statt: Ein Dienstknecht besiegen, zwei Leprosenhäuser: eines zwi-
wurde wegen Raubmordes an seinem Herrn Die Findlingstraße schen der Stadt und dem Dorf Haidhausen
enthauptet. Wegen dieses Spektakels wur- am Gasteig, wo heute noch die Kirche Sankt
den in der Folge Hinrichtungen nur mehr Als „Findlinge“ wurden bis Ende des 19. Jahr- Nikolai steht, und eines zwischen München
unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzo- hunderts Kinder bezeichnet, die beide Eltern und Schwabing, dort wo sich heute Nikolai-
gen, zunächst im Gefängnis am Unteranger, oder einen Elternteil verloren hatten oder platz und Nikolaistraße befinden.
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