Page 26 - Taxikurier April 2022
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dauerndem Drängen seitens des Gewerbes freudiger Erwartung herausgeputzt be- Das Attentat
verzichteten die Planer auf Taxistände. Eine reitstanden, war nichts zu tun. Die Jugend
Woche vor Beginn der Spiele wurde ein der Welt, die sich zu den Spielen in Mün- Am 5. September 1972 um 4.00 Uhr früh
Standplatz für etwa 60 Taxis auf einer neu chen traf, nächtigte in Jugendherbergen, nahm eine Gruppe Palästinenser Mitglieder
angelegten Wiese nördlich der Fußgänger- Turnhallen oder Zeltlagern, wie am Kapuzi- der Israelischen Nationalmannschaft als
brücke über den Georg-Brauchle-Ring ange- nerhölzl oder Campingplätzen. Die etwa Geiseln. Bei der missglückten Befreiung auf
legt. Zu allem Überfluss regnete es vor Be- 1.200 Sportler und Betreuer waren im dem Militärflughafen Fürstenfeldbruck
ginn der Spiele, sodass diese Fläche einem Olympischen Dorf hinter drei Meter hohen kamen elf Israelische Sportler, ein Polizei-
Panzerübungsgelände glich. Einige Kolle- Drahtzäunen weggesperrt. Geschäftsleute beamter und acht Attentäter ums Leben.
gen blieben im Morast stecken und muss- und sonstige Reisende mieden die Stadt. Die Geiselnahme endete am 6. September
ten raus geschleppt werden. Fahrgäste gegen 1.30 Uhr. Am gleichen Tag erklärte
wurden keine gesichtet. der 82-jährige IOC-Präsident: „The game
Frust, Flucht und Lichtblicke must go on!”.
Der Startschuss Als am Dienstag nach der Eröffnung immer
noch tote Hose war, floh ich mit meiner
Am Vorabend des Beginns der Spiele be- Frau ins Wellnessbad Alpamare nach Bad
raumten wir vom Vorstand der Taxivereini- Tölz, das inzwischen auch Geschichte ist.
gung eine Sitzung zur Abstimmung aller Ein Lichtblick kam am Ende der ersten
Maßnahmen an. Noch während dieser Sit- Woche auf. Bei den Qualifikationskämpfen
zung verständigte uns der Funksprecher, schieden immer mehr Sportler aus und
dass am Max-Joseph-Platz ein großer genossen ihre Freiheit nach monatelangem
Tumult mit Taxifahrern im Gange sei. Wir Training und Schinderei. In weiser Voraus-
machten uns sofort auf den Weg. Vor der sicht betrieb ein Mensch in der Dachauer
Hauptpost standen etwa 40 Kollegen und Straße kurz hinter der Unterführung ein
protestierten, weil sie nicht wie üblich an zweckmäßiges Laufhaus. Die einladende
der Oper vorfahren durften. Tiefgarage war der Kontakthof, von dem
aus der Verkehr über die Wohnungen und
An der Vorfahrt unweit der Freitreppe und in später dann zum Hauseingang im Einbahn-
der Maximilianstraße standen mindestens prinzip abgewickelt wurde. In diesem Zu-
100 Bundeswehrsoldaten mit fabrikneuen sammenhang muss an den Betrieb mit der
Mittelklassewagen, um die geladenen Gäste Adresse „One, One, Two“ erinnert werden.
abzuholen. Mindestens 20 Schutzleute ver- Die volle Adresse lautete Hohenzollernstra-
suchten die lautstark protestierenden Kolle- ße 112, über Jahrzehnte eine einschlägige
gen zu besänftigen. Angesichts dieses Fias- Anschrift. Nachdem der Betriebszweck ge-
kos konnten auch wir das Problem nicht ändert und renoviert wurde, findet man Fazit
lösen. Es sollte ein deprimierender Vorge- heute ein veritables Mietshaus vor. In der
schmack auf das Jahrhundertereignis sein. zweiten Olympiawoche normalisierte sich Die Spiele waren durch das Attentat be-
Später erfuhr ich, dass alle VIPs persönliche das Taxigeschäft. Offensichtlich waren die schädigt und entwertet. Wie später zu
Fahrer zugeteilt bekamen. Die Generalsekre- Wehrpflichtigen nicht ausreichend ortskun- erfahren war, wurde mit Sicherheitsvorkeh-
tärin des IOC wohnte im Hotel Vier Jahres- dig, da auch VIP-Gäste, die man an ihren rungen nicht sehr professionell umgegan-
zeiten und wurde von einem Wehrpflichtigen Identitätskarten erkannte, mit uns fuhren. gen. Das Radstadion musste abgebrochen
zusammen mit dem IOC Präsidenten Avery werden, weil der Rundkreis zu kurz war.
Brundage gefahren. Angesichts der Sicher- An einen Schreckensmoment erinnere ich An den uferlosen Taxizulassungen laboriert
heitslage vor dem Hintergrund des grau- mich noch genau. Ich stand mit meinem das Gewerbe noch heute. Allerdings wurde
samen Attentats auf die Israelische Natio- Audi 100 vor der Halle 14 in der Gangho- bei ähnlichen Großereignissen wie der Fuß-
nalmannschaft ergreift einen blankes ferstraße als erstes Taxi. Mit großer Be- ball WM 1974 oder der IGA 1983, für die
Entsetzen. sorgnis sah ich, wie der weltbekannte der Westpark geschaffen wurde, nicht nach
Schwergewichtsringer Chris Taylor auf mich zusätzlichen Taxikonzessionen gerufen,
Es kam noch dicker. Am Samstag, dem zuging. Ich dachte, wenn der Koloss bei sondern mit dem Taxigewerbe kooperiert.
26. August 1972, fand die Eröffnungsfeier mir mit seinen 182 kg einsteigt, dann kann
statt. Die Straßen waren leergefegt. Die ich mit der Trambahn heimfahren. Schein- Als Positivum ist die Verkehrsinfrastruktur
Großkopferten wurden von unseren Streit- bar konnte er Gedanken lesen. Er zwängte zu werten, auch wenn die Stadtoberen
kräften gefahren. Für uns Taxler, die fünf sich an meinem Audi vorbei, überquerte manchmal mit Nachdruck durch das Taxi-
Jahre im Baustellendreck fuhren und in die Straße und stieg in einen Omnibus. gewerbe gezwungen werden mussten. (HM)
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