Page 10 - Taxikurier Juni 2023
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RECHTSPRECHUNG
➔ URTEILE
Zusammenstoß von PKW mit Bahn wegen Ausfalls der
Bahn übergangs sicherungs anlagen begründet grundsätzlich
Alleinhaftung des Bahnbetreibers
Mit Herannahen eines Zuges muss grundsätzlich
nicht gerechnet werden
Kommt es zu einem Zusammenstoß zwischen einem PKW und einer
Bahn, weil die Bahn übergangs sicherungs anlagen ausgefallen sind,
begründet dies grundsätzlich die Alleinhaftung des Bahnbetrei-
bers. Mit einem Herannahen eines Zuges muss in einem solchen
Fall grundsätzlich nicht gerechnet werden. Eine Mithaftung kommt
nur in Betracht, wenn der herannahende Zug erkennbar war. Dies
hat das Oberlandesgericht Celle entschieden.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: An einem Vormittag
im August 2019 kam es an einem Bahnübergang in Niedersachsen
zu einer Kollision zwischen einem PKW und einer Regionalbahn.
Dabei wurde die Fahrerin des PKW schwer verletzt. Grund für den
Unfall war, dass sowohl die Schranken als auch die Lichtanlage Hohes Verschulden der Bahn
wegen eines Defekts nicht funktionierten. Da die Sicht auf die
Bahnstrecke wegen Bewuchses eingeschränkt war, hatte die Der Beklagten sei ein hohes Verschulden anzulasten, so das Ober-
PKW-Fahrerin den herannahenden Zug nicht bemerkt. Der Zug- landesgericht. Der Beklagten sei die Störanfälligkeit des Bahnüber-
führer hatte noch gebremst als er bemerkte, dass die Schranken gangs bekannt gewesen, da in weniger als einem Monat die Siche-
oben waren. Die Bahn bestritt jede Verantwortung an dem Unfall, rungsanlagen 15mal ausgefallen waren. Die Beklagte hätte daher
zahlte aber an die PKW-Fahrerin ein Schmerzensgeldbetrag in Sicherungsmaßnahmen ergreifen müssen bis die Ursache der Stö-
Höhe von 4.000 Euro. Dieser war der Betrag zu wenig und erhob rungsserie ermittelt und behoben wurde. So wäre eine Sperrung
daher Klage. des Bahnübergangs, die Einsetzung von Streckenposten oder eine
erhebliche Reduzierung der Geschwindigkeit der Züge in Betracht
gekommen.
Landgericht gab Schmerzensgeldklage statt
Das Landgericht Bückeburg hielt die Beklagte für allein ver- Schmerzensgeld von insgesamt 60.000 Euro
antwortlich an dem Unfall und gab der Schmerzensgeldklage
daher statt. Es sprach der Klägerin weiteres Schmerzensgeld in Das Oberlandesgericht erachtete ein Schmerzensgeld in Höhe von
Höhe von 56.000 Euro zu. Dagegen richtete sich die Berufung insgesamt 60.000 Euro für angemessen. Es berücksichtigte dabei,
der Beklagten. dass die Klägerin ein Polytrauma mit gedecktem Schädelhirntrau-
ma und multiple Kontusionsblutungen rechts frontal und temporal,
eine Rippenserienfraktur rechts, mit traumatischem Pneumohäma-
Oberlandesgericht bejaht ebenfalls vollständige Haftung des tothorax rechts, eine ausgedehnte Rissquetschwunde am distalen
Bahnbetreibers Oberarm rechts, eine Radiusköpfchenfraktur mit Gelenkbeteiligung
und knöcherne Absprengung am Olekranon rechts und eine Milz-
Das Oberlandesgericht Celle bestätigte die Entscheidung des Land- kontusion erlitt. Zudem musste sie am großen Zeh des linken
gerichts. Die Beklagte hafte allein für die Unfallfolgen. Grundsätz- Fußes operiert werden, da der Zeh durch den Unfall starke Risse
lich könne ein Kraftfahrer bei straßenseitig ausgeschalteten tech- enthielt und diese sich entzündet hatten. Ferner verlor sie beim
nischen Sicherungsanlagen an Bahnübergängen darauf vertrauen, Unfall drei Zähne im Unterkiefer, musste ein Gebiss tragen und litt
dass sich kein Zug nähert. Bei einem Zusammenstoß infolge geöff- unter einer Rückentwicklung des Kiefers. Schmerzensgelderhöhend
neter Schranken sei deshalb im Grundsatz von der Alleinhaftung wurde zudem berücksichtigt, dass die Beklagte jegliche Mitverant-
des Bahnbetreibers auszugehen. Eine Mithaftung des Kraftfahrers wortung abstritt.
komme in Betracht, wenn der herannahende Zug für den Kraftfah-
rer erkennbar war. So lag der Fall hier nicht. (Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 31.01.2023 – 14 U 133 ⁄ 22)
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