Page 20 - Taxikurier Juni 2020
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TITELTHEMA








            INTERVIEW


             ➔ IM GESPRÄCH MIT DR. VENCZEL ZUM THEMA SCHLAF



            TAXIKURIER: Sehr geehrter Herr Dr. Venczel, Sie sind den Taxi-  40 Jahren gelangen wir dann zur maximalen Schlafignoranz. Es
            fahrern sehr gut bekannt als untersuchender Arzt für Erwerb    besteht dann eine Mehrfachbelastung: Beruf, Kinder, Existenz-
            oder die Verlängerung des Führerscheins für Berufskraftfahrer. Sie   sorgen etc.
            kennen also die gesundheitlichen Probleme der Taxler recht gut.
            Wir möchten Ihnen zum Thema Schlaf ein paar Fragen stellen:   Studien zeigen, dass mit zunehmendem Alter die Existenzsicher-
                                                              heit ein gutes Ruhekissen zu sein scheint. Für die menschliche
            Wie sieht der eigentlich biologisch richtige Schlafrhythmus bei   Psyche ist es nicht besonders fördernd, dass all unsere Sorgen
            einem Menschen aus?                               und Nöte tagsüber verdrängt werden und diese sich im Unterbe-
                                                              wusstsein verstecken müssen. Dank ungünstigen nächtlichen
            DR. VENCZEL: Im Allgemeinen ist der Schlaf gleichzeitig ein   Hormon-Konstellationen können diese den Menschen dann bis in
              Regenerations- und Reparaturprogramm des Körpers. Die mensch-  die Morgenstunden plagen.
            lichen Körperfunktionen unterscheiden sich zwischen Schlafen
            und Wachen. Der Mensch lebt in diesem Rhythmus. Regelmäßig-  TAXIKURIER: Welche Auswirkung hat dies auf die Gesundheit?
            keit im Tagesablauf ist der Schlüssel für einen erholsamen Schlaf
            in der Nacht. Der nächtliche Schlaf besteht aus mehreren Pha-  DR. VENCZEL: Der chronische Schlafmangel macht den Menschen
            sen, begleitet mit bestimmten physiologischen Prozessen unse-  über längere Zeit launisch, reizbar und aggressiv. Die geistigen
            res Organismus. Es handelt sich um unterschiedliche Tiefen des   Aufgaben leiden zuerst, wobei gleichzeitig auch die Risikobereit-
            Schlafprozesses. Daran sind verschiedene Hormone beteiligt.   schaft steigt.  Das Gedächtnis ist beeinträchtigt. Das Risiko für
                                                              Angststörungen, Essstörungen und Suchterkrankungen ist erhöht.
            Die Tages- und Nachtgestaltung besteht hingegen aus einem
              individuellen Rhythmus. Nach ihren Schlaftypen unterscheiden   Körperliche Anstrengung überdeckt am Anfang die Müdigkeit
            sich die Menschen wie Lerchen und Eulen. Die Lerchen sind   und macht vorübergehend wach. Aber wenn man kurz zu Ruhe
            Frühaufsteher. Die Eulen wiederum sind spät abends höchst-  kommt, wie zum Beispiel im Auto, ist der Sekundenschlaf vor-
            leistungsfähig, kommen dafür morgens schwer aus dem Bett.    programmiert.
            Um den Schlafbedarf zu erfüllen, sollte man durchschnittlich
            6–7 Stunden schlafen. Vor dem Schlaf sollte mindestens eine   TAXIKURIER: Ist der Tag-Schlaf der gleiche wie der Nacht-
            zweistündige Entspannungsperiode stattfinden.     Schlaf?

            TAXIKURIER: Gibt es hier Unterschiede zwischen Mann und Frau   DR. VENCZEL: Entscheidend sind der individuelle Schlafrhythmus
            und vielleicht auch dem Alter?                    und die Empfindlichkeit auf die Reize der Umgebung. Die festen
                                                              Zeiten für Schlaf, Arbeit, Freizeit etc. können den Schlummer
            DR. VENCZEL: Frauen im mittleren Lebensalter haben ein zusätz-  stärken. Ob man ein Lerchen- oder ein Eulen-Typ ist, hat für die
            liches halbstündiges Schlafbedürfnis im Vergleich zu Männern.   gute Erholung keine Bedeutung.
            Sie behalten auch in der zweiten Lebenshälfte den für die kör-
            perliche Erholung so wichtigen Tiefschlaf. Frauen schlafen aller-  TAXIKURIER: Wie bleibt man am besten wach, wenn man lange
            dings auch früher und schneller ein und haben einen flexibleren   im Auto sitzen oder anderweitig warten muss?
            Schlaf- und Wachrhythmus. Tagsüber können Frauen sich leichter
            auf ein Nickerchen einstimmen. Männer ab dreißig können sich   DR. VENCZEL: Wenn man nachts lange fährt und nicht ausgeruht
            hingegen nur schwer auf ungewohnte Schlafzeiten umstellen.   ist, hilft meistens lautes Radiohören, Fenster öffnen und Kaffee
            Wegen eines starren Schlaf- und Wachrhythmusses können sie   trinken auch nicht. Man sollte rechts ranfahren, ein 10-minütiges
            auch am Wochenende nicht viel länger schlafen. Sonntags in der   Nickerchen machen und dann eine Tasse Kaffee trinken. Wenn
            Früh beim Bäcker stehen fast ausschließlich Männer in der   man steht und nicht schlafen kann, sollte eine kleine sportliche
            Schlange.                                         Betätigung helfen wie z. B. ums Auto joggen oder Kniebeugen.
                                                              Das Nickerchen sollte aber, wenn möglich, bevorzugt werden. Das
            TAXIKURIER: Welche Einflüsse gibt es auf den tatsächlichen   gilt für Tag- sowie Nachtfahren.
            Schlafrhythmus der heutigen Gesellschaft?
                                                              TAXIKURIER: Hilft der Schlaf am Nachmittag vor der Nachtfahrt?
            DR. VENCZEL: Die jüngere Generation ist bis tief in die Nacht
            Geisel der neuen Medien wie Handys oder Tablets. Filme werden   DR. VENCZEL: Geschichtlich ist bekannt, dass berühmte Politiker
            gestreamt, Mitteilungen werden permanent geprüft, mit Freun-  wie Winston Churchill und Konrad Adenauer sich täglich einen
            den wird geschrieben. Dieses Verhalten hat negative Auswirkun-  ordentlichen zweistündigen Nachmittagsschlaf gegönnt haben,
            gen auf den Schlaf und die Gesundheit. Ab etwa dem Alter von   bevor sie bis spät in die Nacht arbeiteten. In jedem Fall macht






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