Page 30 - Taxikurier November 2023
P. 30
STADTKUNDE MÜNCHEN
➔ STRASSENBENENNUNGEN
Namen nach Lebenden – Von Benedikt Weyerer
Heute erscheint die Praxis, Straßen nach lebenden Personen zu benennen, ungewohnt, wenn nicht sogar unangemessen.
Im 19. Jahrhundert hingegen war es gang und gäbe, Frauen und Männer jeden Alters aus der Familie der herrschenden
Wittelsbacher mit der Benennung einer Straße zu ehren. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bezogen sich Straßenbenennun-
gen auf dortige Anwohner, Gewerbe oder gaben eine Richtung an.
Dies änderte sich seit ungefähr 1800, entstanden am 8. Juli 1920 Schüleinplatz 1933: Ritter-von-Epp-Platz
als sich die Herrschenden – in München und Schüleinstraße: „Kommerzienrat Jo-
das Haus Wittelsbach – noch zu Leb- seph Schülein, bekannt durch seine wohl- Das Dritte Reich begann in München am
zeiten auf Straßenschildern selbst zu tätigen und gemeinnützigen Stiftungen.“ 5. März 1933 mit dem Hissen der Haken-
verewigen suchten, um ihren Herr- Joseph Schülein (1854–1938) besaß die kreuzfahne auf dem Rathausturm und dem
schaftsanspruch auch im Alltag ihrer Unionsbrauerei, die Münchener-Kindl- Schläger Karl Fiehler (1895–1969) als
Untertanen zu bekräftigen. Brauerei und Anteile an der Löwenbrauerei Oberbürgermeister. Nun begann das Eldora-
und hatte durch den kostengünstigen Ver- do der Verbrecher, auch auf dem Straßen-
Bereits Jahre vor der Revolution im Novem- kauf seines Grundbesitzes die Errichtung schild. Der ehemalige Generalfeldmarschall
ber 1918 kamen gar keine Wittelsbacher der dortigen Siedlung erleichtert und und Reichspräsident Paul von Hindenburg
mehr zu Ehren, allerdings weiterhin einige durfte nun als Gegengabe seinen Namen (1847–1934) hatte seine Straße in Mün-
lebende Bürgerliche, wenn auch mit stark auf Straßenschildern lesen. Sein soziales chen bereits 1917 erhalten, nämlich die
abnehmender Tendenz. Im Dritten Reich Engagement wurde ihm allerdings später umbenannte Landshuter Allee von 1917 bis
(1933–1945) schließlich hielten sich die nicht gedankt – im Gegenteil: Als Jude 1946. Hindenburg berief am 30. Januar
neuen Machthaber für bedeutend und um sprach man ihm nach der Machtübergabe 1933 den Münchner Bürger Adolf Hitler
das Allgemeinwohl verdient genug, um an die NSADP 1933 seine Verdienste ab (1889–1945), wohnhaft am Prinzregenten-
sich selbst zu zahlreichen Straßenehren und am 7. Dezember 1933 wurde die Um- platz 16, zum Reichskanzler. Innerhalb kür-
aufzuschwingen. Dieser Exzess führte nach benennung in Halserspitzplatz und -straße zester Zeit kürten Tausende von Gemeinden
der Befreiung 1945 zur Aufgabe dieser beschlossen. Auf Befehl der US-Behörden in Deutschland Hitler zum Ehrenbürger,
Praxis und der Stadtrat beschloss, dass kehrten am 7. August 1945 die alten Be- seine Heimatstadt München am 26. April
niemand zu Lebzeiten ein Straßenschild nennungen zurück, aber da war Schülein 1933. Am selben Tag erhielt Franz Ritter
zieren solle. Allerdings kam es dennoch bereits auf seinem Schloss Kaltenberg von Epp (1868–1946) die Ehrenbürgerwür-
zu zwei Ausnahmen. verstorben. Ebenfalls am 8. Juli 1920 ent- de, außerdem hieß nun der Promenadeplatz
stand in Schwabing die Borschtallee: „Dr. bis zu seiner Rückbenennung am 9. Juni
Wilhelm Ritter von Borscht, Geheimer Rat, 1945 Ritter-von-Epp-Platz: „Franz Ritter
Demokratie: 1919 – 1933 Oberbürgermeister a.D.“ Borscht (1857– von Epp, Generalleutnant der Infanterie
1943) trug seit 1907 als Erster den Titel a.D. Während des Weltkrieges Führer des
Unter dem Eindruck der Katastrophe des „Oberbürgermeister“. Er stand der Stadtver- Leibregiments, Befreier Münchens von der
Ersten Weltkrieges setzte der Stadtrat, wie waltung in der unruhigen Nachkriegs- und Räteherrschaft (Freikorps Epp), verdient
der Magistrat nun hieß, seine Politik fort, Umbruchszeit vor, bis nach den Kommunal- um die Niederringung des Aufstandes im
nur Menschen zu ehren, die sich tatsäch- wahlen vom 15. Juni 1919 Eduard Schmid Ruhrgebiet (1920). Seit 1928 in den Rei-
lich um München und seine Menschen ver- von der SPD (1861-1933, Eduard-Schmid- hen der Kämpfer Adolf Hitlers, wird er
dient gemacht hatten – auch noch Leben- Straße von 1946, davor Frühlingsstraße) nach der Machtübernahme durch die
de. So vertrat Bürgermeister Hans Küfner seine Nachfolge antrat. Am 14. April 1932 NSDAP vom Führer zum Reichsstatthalter in
(1871–1935, Küfnerstraße von 1964) in würdigte der Stadtrat in Schwabing das Bayern ernannt. Vorkämpfer für das Recht
der Sitzung des Stadtrates vom 24. März Engagement eines Geldgebers im Gesund- Deutschlands auf seine Kolonien. Geboren
1931 beispielsweise folgende Meinung: heitswesen mit der Heckscherstraße: 16.10.1868 zu München.“ Epp verkörperte
„Man wird naturgemäß bei lebenden Perso- „August Heckscher (siehe Abbildung oben), als Reichsstatthalter die Beseitigung der
nen mit derartigen Ehrungen etwas zurück- deutsch- amerikanischer Philanthrop in bayerischen Eigenständigkeit und übte jetzt
haltender sein müssen, jedoch glaube ich, New York, Stifter der zum Gedächtnis die vollziehende Gewalt aus, beispielsweise
dass sich der Standpunkt, niemals nach seines Vaters (Dr. Johann Gustav Heck- die Polizeibefugnisse im gesamten ehemali-
lebenden Personen eine Straße oder einen scher 1797–1865) in München errichteten gen Freistaat. In fast unzähligen Gemein-
Platz zu benennen, nicht unter allen Um- ‚Heckscher Nervenheil- und Forschungsan- den deutschlandweit entstanden darüber
ständen aufrechterhalten lässt.“ Drei Bei- stalt’, geboren 26.8.1848 zu Hamburg“. hinaus Adolf-Hitler-Straßen und solche
spiele seien genannt: In Berg am Laim Heckscher starb erst 1941 in New York. Plätze – nicht aber in München.
30 ⁄ TAXIKURIER ⁄ NOVEMBER 2023