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STADTKUNDE MÜNCHEN

            ➔ „NEUE BEHAUSUNGEN“





           Neuhausen: Vom Dorf zum Stadtteil – Von Benedikt Weyerer



           Als Neuhausen am 1. Januar 1890 nach München eingemeindet wurde, bestand der dörfliche Kern zwar noch,
           aber das ehemalige Dorf hatte sich gleichzeitig längst in einen industriellen und militärischen Schwerpunkt gewandelt.
           Insofern kam auch nicht das Dorf Neuhausen nach München, sondern eine ausgewachsene Vorstadt.


           Das Dorf                          Gemeindebildung 1818              ➔  Josef-Obenhin-Straße: „Josef Obenhin
                                                                                 (1821–1899) Buchbindermeister. Er war
           Um das Jahr 1170 herum – also ungefähr   Nach der Erhebung Bayerns vom Kurfürs-  von 1884 bis 1889 der letzte Bürger-
           zur gleichen Zeit wie München 1158 –   tentum zum Königreich am 1. Januar 1806   meister der Gemeinde Neuhausen. Seit
           taucht „Niwenhausen“ zum ersten Mal in   wurde die Organisation des neuen Staates   1887 bemühte er sich, Neuhausen, das
           einer Urkunde auf. Der Name bedeutet   effektiver gestaltet, indem das Gemein-  inzwischen die größte Landgemeinde
           „Neue Behausungen“ und fand sich schon   deedikt vom 17. Mai 1818 eine beschränk-  Bayerns geworden war, nach München
           sehr früh, so um 1280, als Richtungsanga-  te Selbstverwaltung der Gemeinden unter   einzugemeinden. Obenhin führte dazu
           be in der heutigen Altstadt als Neuhauser   Aufsicht der Regierung von Oberbayern   die Verhandlungen mit der Stadtspitze.“
           Straße und Neuhauser Tor wieder. Die Bau-  brachte – ähnlich der heutigen Kompetenz-
           ernhöfe des Dorfes lagen entlang der Dorf-  verteilung. Nun gab es örtliche Gemeinde-
           straße, die seit 1885 Winthirstraße heißt.   vorsteher und Gemeinderäte, begrenzt zu-  Die Gebäude
           Winthir arbeitete im 12. Jahrhundert in der   ständig für die Finanzen, die Zulassung von
           Gegend als Säumer, als Spediteur, mit sei-  Gewerbe, das Volksschul- und Kirchenwesen   Kein Dorf ohne Gastwirtschaft: Erstmals im
           nem Maultier und soll dort für die Verbrei-  oder die Ortspolizei.   Jahr 1582 erschien die Tafernwirtschaft mit
           tung des Christentums gesorgt haben. Der                            Vollkonzession „Zum großen Wirt“ mit der
           1955 aufgestellte Winthirbrunnen gleich   An drei Persönlichkeiten des Dorfes   Adresse Neuhausen 15 in den Akten. Eine
           vorne beim Rotkreuz-Stand zeigt ihn mit-    Neuhausen erinnern seit 2007 Verkehrswe-  Tafernwirtschaft musste wandernde Hand-
           samt Tier und Kreuz. Zwei Flurnamen haben   ge zwischen Arnulfstraße und Schäringer-  werksgesellen gegen Geld oder handwerk-
           sich als Straßenbenennungen erhalten:   straße:                     liche Gegenleistungen beherbergen, sie
             Birketweg und Birkerstraße, beide von                             hatte also eine soziale Verpflichtung.
           1887, sind eine alte Bezeichnung für einen   ➔  Franziska-Schmitz-Straße mit der Erklä-    Ferner wurde bei Todesfällen der Leichen-
           Birkenwald und die Bildackerstraße von   rung: „Franziska Schmitz (1759–1822)   schmaus in der „Taverne“ abgehalten und
           2007 erklärt sich mit: „Der Flurname   gründete ab 1810 in Neuhausen- Nym-  die Nachlass- sowie Gerichtsverhandlungen
           ,Bildacker’ bezeichnete ein rund 55 Tag-  phen burg Spinnstuben und lud einhei-  durchgeführt. Die Taferne war der Mittel-
           werk großes Ackergrundstück, auf dem sich   mische Mädchen und Frauen ein, bei    punkt in weltlichen Angelegenheiten der
           unter anderem jetzt die Wilhelm-Hale-   ihr die niederländische Flachsspinnerei   Bewohner des Dorfes. Und diese Gaststätte
           Straße, die Arnulfstraße, die Großsiedlung   zu erlernen. Der soziale und moralische   existiert nach 440 Jahren heute immer
           Neuhausen der Gewofag und das Briefzent-    Erfolg war so groß, dass sich der Kreis   noch als „Großwirt“ an der Winthir- ⁄ Ecke
           rum befinden.“                      immer mehr ausbreitete und eine   Volkartstraße. Bis 1903 ähnelte das Gebäu-
                                               ,Spinn-  Verschwisterung’ mit zahlreichen   de einem Bauernhof, dann wurde es abge-
           Der Münchner Stadtteil „Neuhausen-Nymphenburg”  Mitgliedern entstand. Die ,Spinn-Mut-  rissen und im großstädtischen Stil wieder
                                               ter ’ liegt im Neuhauser Winthirfriedhof   aufgebaut, so wie es heute dasteht. Von
                                               begraben.“                      den Bauernhöfen hat sich nichts erhalten,
                                                                               außer in einigen Straßennamen, für die
                                             ➔   Georg-Lindau-Straße: „Georg Lindau   sich der Stadtrat sozusagen als indirekten
                                               (1816–1895) war von 1865 bis 1869   Denkmalschutz im Jahr 2007 im Neubau-
                                               Gemeindevorsteher und von 1870 bis   gebiet entlang der Wilhelm-Hale-Straße
                                               1875 Bürgermeister von Neuhausen.   entschied:
                                               Beson dere Verdienste erwarb er sich bei
                                               der Errichtung der ersten Neuhauser   ➔  Reitknechtstraße: „Die ,Reitknechtsölde’
                                               Schule und beim Neubau der Winthir-  war ein kleiner Bauernhof an der frühe-
                                               kirche in den Jahren 1866 bis 1872.   ren Adresse Winthirstraße 3 (im heuti-
                                               Lindau war Wagnermeister; seine Werk-  gen Garten des Rotkreuz-Krankenhau-
                                               statt und seine Wohnung befanden    ses). Das Anwesen wurde 1888 vom
                                               sich in der Blutenburgstraße 91.“  Frauenverein vom Roten Kreuz erworben




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