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GESCHICHTE

            ➔ STRASSENBENENNUNGEN





           Von Benedict Weyerer



           Heute erscheint die Praxis, Straßen nach lebenden Personen zu benennen, ungewohnt, wenn nicht sogar
           unangemessen. Im 19. Jahrhundert hingegen war es gang und gäbe, Frauen und Männer jeden Alters aus der Familie
           der herrschenden Wittelsbacher mit der Benennung einer Straße zu ehren.


           Bis Anfang des 20. Jahrhunderts    straße (1875–1957) und die die Siegfried-  ten Leo von Klenze (1784–1864) oder
           gang und gäbe – Heutige Straßen-  straße (1876–1952) benannt worden. In   1867 kam die Schraudolphstraße nach
           namen nach Lebenden               diesen Zusammenhang gehören auch die     Johann von Schraudolph (1808–1879)
                                             Ludwigstraße (1786–1868) von 1822, die     hinzu.  Einige weitere Beispiele: Der Mars-
             Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts be-  Maximilianstraße (1811–1864) von 1858   feldweg im damaligen äußersten Westen
             zogen sich Straßenbenennungen auf   und die Prinzregentenstraße nach dem   der Stadt heißt seit 1886 Maillingerstraße
             dortige Anwohner, Gewerbe oder gaben   Prinzregenten Luitpold (1821–1912) von   nach dem General Josef Maximilian Fridolin
             eine Richtung an. Dies änderte sich seit   1890, außerdem die Giselastraße (1856–  Ritter von Maillinger (1820–1901). Seine
             ungefähr 1800, als sich die Herrschen-  1932) von 1873 oder die Leopoldstraße   staats tragende Rolle zeigte sich in seinen
             den – in München das Haus Wittelsbach   (1846–1930) von 1890 nach ihrem Mann.  Auszeichnungen: Ritterkreuz des Militär-
             – noch zu Lebzeiten auf Straßenschil-                             Max- Josephs-Ordens, Großkreuz des Militär-
             dern selbst zu verewigen suchten, um                              Verdienst-Ordens, Großkreuz des Verdienst-
             ihren Herrschaftsanspruch auch im All-  Wittelsbacher:            ordens der bayerischen Krone,  Ritterkreuz
             tag ihrer Untertanen zu bekräftigen.  Neuhausen und Nymphenburg   des Verdienstordens vom Heiligen Michael,
                                                                               Eisernes Kreuz 1. Klasse, Großkreuz des
                                             Im Westen der Stadt kamen zu Ehren:      Roten Adlerordens, Pour le mérite sowie
           Wittelsbacher:                    Alfonsstraße (1862–1933) von 1883,   Orden der Eisernen Krone. Oder 1898 die
           Maxvorstadt und Schwabing           Elvirastraße (1868–1943) von 1888, Klara-  Orffstraße mit der Begründung: „Karl von
                                             straße (1874–1941) und Rupprechtstraße   Orff, königlicher General der Infanterie und
           Den Anfang machte Kurfürst Karl Theodor   (1896–1955), beide von 1889, dessen Frau   hervorragender Truppenführer im Kriege
           (1724–1799), als er das Neuhauser Tor im   Gabrielenstraße (1878–1912) sowie die   1870/1871.“
           Jahr 1792 nach sich selbst in Karlstor um-    Arnulfstraße (1852–1907) von 1900. Die
           benannte, der nächste war sein Nachfolger   Pilarstraße (1891–1987) kam 1897 sowie   Orff starb im Jahr 1905. Oder die Possart-
           Kurfürst Maximilian IV. Joseph (1756–  die De-la-Paz-Straße (1862–1946) im Jahr   straße von 1901 nach dem Initiator des
           1825, seit 1806 König Maximilian I.   1902, außerdem ihr Mann Ludwig-Ferdi-  Prinzregententheaters, Ernst von  Possart
             Joseph), der 1805 den Max-Joseph-Platz   nand-Platz (1859–1949) aus dem Jahr   (1841–1921): „Zu Ehren des königlichen
           nach sich benannte. In der sich danach   1903. Dieser Schwerpunkt nach lebenden   Hof theater-Intendanten und Professors
           neu entwickelnden Maxvorstadt erhielten   Wittelsbachern nicht weit entfernt von   Ernst Heinrich Ritter von Possart, welcher
           die Plätze und Straßen mehrheitlich Be-  Schloss Nymphenburg sollte der letzte sei-  am 18. Oktober 1901 die Feier seines
           nennungen nach lebenden Wittelsbachern   ner Art bleiben. Nach 1903 entstand keine   40-jährigen Bühnenjubiläums beging.“
           beider Geschlechter, was damals noch un-  Straßenbenennung mehr nach einem Mit-    Diese Ehrung scheint Possart zu Kopf
           gewohnt war, denn Frauen spielten im öf-  glied des Hauses Wittelsbach, auch nicht     gestiegen zu sein, denn er gab sich damit
           fentlichen Leben keine prägenden Rollen.   nach Verstorbenen. Die Revolution vom   nicht zufrieden und wollte mehr, wie der
           In Schwabing kamen nach der Eingemein-    November 1918 und die sich anschließende   folgende  Beschluss des Magistrats vom
           dung 1890 sogar Kleinkinder und Minder-  Abdankung des Königshauses, schienen   9. Juni 1914 zeigt: „Am 17. Juni sind
           jährige aus dem Hause Wittelsbach auf   auch auf diesem Gebiet bereits ihre Schat-  50 Jahre verflossen, dass Ernst von Possart
           Straßenschilder: Im Jahr 1896 beschloss   ten zu werfen.            nach München berufen wurde und seine
           der Magistrat „Allerhöchst genehmigt mit                            ruhmvolle Künstlerlaufbahn begonnen hat.
           Entschließung des Königlichen Ministerium                           Es wäre sein Wunsch, dass der Holbein-
           des Innern“ die Gundelindenstraße (1891–  Verdiente Persönlichkeiten  platz, in den die Possartstraße einmündet,
           1983), die Helmtrudenstraße (1886–1977),                            in Possartplatz umbenannt würde. Er hegt
           die Konradstraße (1883–1969) sowie die   Auch lebende Bürgerliche wie auch auf   die Absicht, auf diesem Platze ein Mozart-
           Wiltrudenstraße (1884–1975), deren     Lebenszeit Geadelte konnten auf Straßen-  denkmal errichten zu lassen. Der Magistrat
             Namengeber und Namengeberinnen ihre   schilder gelangen. So befahl König Ludwig   beschließt in  diesem Sinne und wird Herrn
           Ehrung noch Jahrzehnte genießen konn-  I. beispielsweise im Jahr 1830 die Benen-  von Possart am Jubiläumstage in einem
           ten. Im Jahr 1890 waren bereits die Franz-  nung der Klenzestraße nach dem Architek-  Glückwunschschreiben hievon Mitteilung




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