Page 24 - Taxikurier Februar 2025
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UNTERHALTSAMES
➔ DER ALIEN AM HAUPTBAHNHOF
Erlebnisse aus meiner Zeit hinterm Taxi-Volant – Von Jens Kügler
VORWORT: FÜNF GROSSE ITALIENER Weisheit ihre Kfz-Verwahrstelle schön weit
im Outback eingerichtet. Wir nennen es
Geschichten – aus der Kiste gefischt Zu behaupten, Taxifahrer genossen eine Trudering.
ausgesprochene Beliebtheit unter dem
Keine Sorge: die Mottenkiste bleibt schot- Rest der Verkehrsteilnehmer, ist müßig. Ich fahre also die noch recht nüchternen
tendicht. Ich lasse das Seemannsgarn im Eine besondere Reputation bringt man Signori aus der Stadt heraus zur Kfz-Ver-
Nähkästchen. Denn aus nichts gähnt es ihnen allerdings schon entgegen, und das wahrstelle. Üblicherweise verabschieden
lauter als ihm. Versteht man unter dem nicht nur für ihren Fahrstil. Mag es unter sich die Fahrgäste hier, um mit ihrer wie-
Wort „Kiste“ die Koseform für ein Fahrzeug Einheimischen auch mehr üble Gerüchte als dergewonnenen Freiheit und Mobilität den
– und insbesondere ein hellelfenbein- Vertrauen in die vermeintliche Kernkompe- Weg zurück in die Stadt alleine zu suchen.
farbiges mit einem gelben Leuchtschild tenz der Taxilenker, die Ortskunde, geben Den recht hohen Fahrpreis zahlen sie nach
auf dem Dach – , dann wir es Zeit, die (ewiges Stigma bleibt Fredl Fesls berühmte der noch zehnmal höheren Abschlepp- und
Kiste auszupacken und die alten Geschich- Taxilied-Zeile „I wui ned nach Dachau“ über Falschparkgebühr nämlich nicht noch gerne
ten endlich zum Besten zu geben. eine vermeintliche Innenstadt-Kurzfahrt in ein zweites Mal.
Geschichten, die ich als Fahrer mit meinen München): mit jedem Kilometer Entfernung
Kollegen erlebt habe. Vor allem aber die vom Schatten des heimischen Kirchturms Diese drei aber boten mir tatsächlich die
mit meinen „Beifahrern“. Jenen mal steigt das Vertrauen in die Protagonisten doppelte Summe und wollten, dass ich
lieben, mal freundlichen, mal verzweifel- der jeweils örtlichen Zunft und in ihr sie „führe“. Nicht zu einem der extra aus-
ten, mal schweigsamen, mal hysterischen Wissen. Zwangsläufig. gewiesenen Wohnmobilparkplätze mit
und öfter mal nicht nur vor Freude trunke- U-Bahn-Anschluss, sondern direkt zurück
nen Fahrgäste. So auch bei jenen Herren aus Italien, die zum Oktoberfest! Sie würden dort schon
mein Taxi beim Polizeirevier am Oktober- irgendwie einen Parkplatz finden, einen
Steigen Sie ein und lassen Sie sich „ent- festplatz bestiegen und mir einen wohl- legalen, glauben sie ... Nun ja, abgemacht,
führen“. In meine vielen bunten Erlebnisse bekannten grünen Zettel unter die Nase abkassiert. Ich setzte mich in Marsch
aus den frühen 1990er-Jahren und noch hielten. Darauf stand, nebst Polizeistempel, und hatte von nun an ein Wohnmobil im
einmal den späten Neunzigern bis frühen dass sie sich ihr Wohnmobil, das wegen Schlepptau und die Verantwortung, es nicht
2000ern. Aus Zeiten, in denen ich mir mit Falschparkens abgeschleppt worden war, zu verlieren, denn „pagato“ hatten mich
Taxifahren tagsüber wie nachts, nach an der Kfz-Verwahrstelle abholen durften. die Herrschaften ja schließlich „corretto“.
Feier abend und im Urlaub, Geld zur Ausbil-
dung oder während der schwierigen Anfän- Hier müssen dem Auswärtigen die beson- Im zähflüssigen Cityverkehr machte ich
ge als Selbständiger hinzuverdient habe. deren Verhältnisse dieser Stadt und ihrer meine Verfolger also vor jedem Spurwechsel
Besucher während der Oktoberfestzeit kurz durch Handzeichen auf meine Absichten
Es sind Geschichten aus der Stadt meiner erläutert werden. Der Ortskundige ist invol- aufmerksam. Vor jeder Ampel achtete ich
Jugend, aus Hannover, sowie meiner spä- viert und darf diesen Absatz augenzwinkernd genau darauf, ob sie noch eine Chance hat-
teren Wahlheimat München. „Du musst überspringen. Erstens, an den so genannten ten, mir hinüberzufolgen, oder wartete da-
deine Geschichten aufschreiben“, hatte Wiesn- Wochenenden sind Italiens Straßen hinter auf sie, wenn das Ampelpech sie mir
mich mein Freund Chris unlängst aufgefor- leergefegt und unsere dafür heillos überfüllt. entriss. Nun blieben diese Manöver anderen
dert. Und er sagte dies nicht nur, damit Wir nennen es die Rache für den Teutonen- Wohnmobilen, die sich um diese Zeit Rich-
ich endlich beim dritten Bier im Wirtshaus grill. Zweitens, in unserer Region gibt es tung Festwiese durchfragten, offenbar nicht
meine Laberklappe schließe. „Und dann?“, keine freien Hotelzimmer und in ganz Nord- verborgen. Nach einigen Kilometern jeden-
so meine Frage. „Dann veröffentlichen!“, italien keine Wohnmobile mehr zu mieten. falls wurde ich beim Blick in den Rückspie-
die Antwort. Ja, und dann? „Dann den Das ist Fakt. Und es wiederholt sich Jahr für gel gewahr, wie nicht eines, sondern zwei
Taxiführerschein erneuern und wieder fah- Jahr mit ebensolcher Zuverlässigkeit wie das der weißen Riesen aus dem Land hinter den
ren und wieder neue Geschichten erleben“. Parken der rollenden Heime in verbotenen Bergen meinen teilweise recht umständli-
Chris sagte das weder zum Spaß noch aus Zonen und das rigorose Einschreiten der Uni- chen Fahrmanövern folgten. Drei Kreuzun-
Sorge um meine beruflichen Perspektiven. formierten zwecks Füllens des Stadtsäckels, gen weiter waren es ihrer schon vier. Und
the same procedure as every year, zeitweilig wuchs das Spurwechselballett bis
Nun, die Erinnerungen sind hiermit der erstaunlich unitalienisch diszipliniert. auf fünf sich fügende Verfolger an.
Verbreitung preisgegeben. Das Garn ist
endlich raus aus dem Nähkästchen. Aber Und noch etwas: um auch die Säckel der All diesen Wohnmobilen war ungefragt klar,
gesponnen ist nichts. Es war alles erlebt. Taxifahrer zu füllen, hat die uniformierte dass eines der ihren, das einem Taxifahrer
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