Page 19 - Taxikurier April 2022
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Fotos: istockphoto
Architektur und Folklore
Vor diesem Hintergrund erscheint die
Architektur der Münchner Olympiade als
hochpolitisch. Als bewussten Kontrast zur
nationalsozialistischen Olympiaarchitektur
entwarf das Büro des Architekten Günter
Behnisch (1922–2010, Günter-Behnisch-
Straße von 2019) Gebäude, die sich durch
geschwungene, leichte Linien auszeichne-
ten, die nichts Schweres und Monumenta-
les an sich hatten und in ihrer Transparenz
und Leichtigkeit einen demokratischen
Baustil darstellen sollten. Überspannt war
das Ganze vom berühmten zeltähnlichen
Dach von Frei Otto (1925–2015, Frei-Otto-
Straße von 2019), das sich der hügeligen, von 2010) wurde ein umfassendes opti- Fechthallen (3.200 beziehungsweise
sches Erscheinungsbild entwickelt, bei dem 1.000). In Garching-Hochbrück entstand
die Symbole der einzelnen Sportarten dazu die Schießanlage (4.500) und im Engli-
dienten, ein internationales Publikum auch schen Garten fanden vor 1.100 Zuschauern
ohne Worte zu den Veranstaltungsorten zu die Wettkämpfe im Bogenschießen statt.
leiten. Diese Symbole und Plakate standen Im Reitstadion in Riem vor 23.000, in
später vielen weiteren Nutzungen zum Vor- Poing vor 38.000 und vor der Kulisse des
bild. Im Farbschema wurde auf die Farben Nymphenburger Schlosses vor 8.000 Zu-
Schwarz und Rot verzichtet, da diese neben schauern wurden die Reitwettbewerbe ab-
Weiß in der Mitte die Farben des National- gehalten. Die Basketballwettkämpfe fanden
sozialismus waren. Zum Maskottchen der in der Rudi-Sedlmayer-Halle (6.600) an der
Olympiade 1972 erwählte man einen Dackel Siegenburger Straße und im Dantebad vor
namens Waldi, das angeblich für München 3.200 Zuschauern die Wasserballbegegnun-
typische Haustier, und den in bunten gen statt. In Oberschleißheim wurde eine
Streifen. Die Uniformen der Angestellten 2.000 Meter lange Regattastrecke (41.000)
erschienen in der Farbe Hellblau, wobei für die Wettbewerbe im Rudern und Kanu-
hier die Dirndl der Frauen den touristischen rennsport angelegt. Der 660 Meter lange
Vorurteilen und den entsprechenden Erwar- Eiskanal mit Platz für 25.000 Zuschauer in
tungen an die Stadt München entsprachen. Augsburg war Austragungsort der Wett-
künstlichen Landschaft anpasste und diese Das bekannte Erkennungszeichen mit kämpfe im Kanuslalom. Die Wettbewerbe
gleichzeitig optisch verstärkte. Der Land- Strahlenkranz und überlagerter Spirale im Segeln und Wasserski wurden im fernen
schaftsarchitekt Günther Grzimek (1915– stammte von Coordt von Mannstein (gebo- Kiel ausgetragen. Die Wettbewerbe im Stra-
1996) ließ sich von der Idee leiten, eine ren 1937) und soll den Begriff „Strahlendes ßenradsport fanden auf einem Rundkurs
demokratische Grünplanung zu verwirkli- München“ zum Ausdruck bringen. Heute mit Start und Ziel in Grünwald statt, wäh-
chen: Allen Bevölkerungsgruppen sollte der wird ein ähnliches Symbol noch von der rend sich die Teilnehmer des Mannschafts-
Zugang zu den Grünanlagen ohne Absper- Glücksspirale verwendet, farblich allerdings zeitfahrens auf der Autobahn 95 Garmisch
rungen möglich sein, und er erhob den An- abgewandelt. abmühten. In verschiedenen Stadien und
spruch, im Sinne einer humanen Ökologie Hallen in Augsburg, Göppingen, Ingolstadt,
die freie und aktive Selbstverwirklichung Nürnberg, Passau, Regensburg, Ulm sowie
seiner Benutzer zum obersten Kriterium zu Wettkampfstätten in der Sporthalle Böblingen fanden Vorrun-
machen. Wie auch immer, aber beim Olym- denspiele im Fußball und Handball statt.
piapark zeigt sich, dass selbst abgehobene Die Wettkampfstätten lagen zum Großteil Insgesamt wurden für die Olympischen
Theorien manchmal zum praktischen Erfolg in München. Das zentrale Gelände, der Spiele zwei Milliarden DM in den Bau neuer
führen können. Es entstand eine Gesamt- Olympiapark, vereinte dabei die größten Sportstätten und des olympischen Dorfes
anlage, die ein weltoffenes, liberales, Sportanlagen, nämlich das Olympiastadion investiert. Nicht vergessen werden dürfen
friedliebendes und demokratisches West- mit fast 80.000 Plätzen, das Radstadion die 21. Weltspiele der Gelähmten 1972,
deutschland zeigen sollte. Neuartig war das (4.150), die Olympiahalle (10.500), die auch als 4. Sommer-Paralympics bezeich-
Konzept der Trennung des Auto- und des Schwimmhalle (9.200), Boxhalle (7.400), net. Sie fanden vom 1. August bis 10. Au-
Fußgängerverkehrs auf verschiedenen Ebe- Hockeystadion (22.000) sowie die Volley- gust 1972 in Heidelberg statt und sollten
nen, so dass man im Fahrzeug die etwas ballhalle mit 3.680 Plätzen. Auch außer- sich ursprünglich in München nach den
fi nsteren Katakomben im Untergrund halb des Olympiaparks kamen zahlreiche Sommerspielen anschließen. Da das Olym-
durchfährt. Nach Ende der Olympischen Sportstätten zu olympischen Ehren. Auf pische Dorf aber gleich danach zu Studen-
Spiele wurde das Männerdorf zu Wohnun- dem (inzwischen ehemaligen) Messegelän- tenwohnungen umgebaut wurde, sprang die
gen und das Frauendorf zu einem Studen- de auf der Schwanthalerhöhe entstanden Stadt Heidelberg ein. Insgesamt kämpften
tenheim umgenutzt. Unter der Leitung von eine Gewichtheberhalle mit 3.300 Plätzen, dort 1.004 Athleten aus 41 Ländern um
Otl Aicher (1922–1991, Otl-Aicher-Straße eine Ringer-Judo-Halle (5.700) und zwei Medaillen und Plätze.
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