Page 21 - Taxikurier September 2023
P. 21
sprechend und im Hinblick auf den mehr 30.3.1945 in Giengen an der Brenz.“ ten Straßen wurden in München bereits
als unrühmlichen Abgang der Habsburger Auer gehörte der SPD an. Die heutige umbenannt. Für umgehende Entfernung
aus unserer Geschichte umzubenennen. Karl-Singer-Straße wurde 1938 mit Solln etwa noch angebrachter Namenschilder
Da dem Antrag auch politische Bedeutung eingemeindet, sozusagen aus Versehen, wird Sorge getragen. Inwieweit sich unter
zukommt, habe ich durch den Chef der denn der dortige Gemeinderat hatte den Personen, nach denen in München
Reichskanzlei die Meinung des Führers er- Singers jüdische Herkunft übersehen. Straßen benannt worden sind, jüdische Mi-
forschen lassen. Nach Mitteilung des Chefs schlinge I. Grades befinden, wird zur Zeit
der Reichskanzlei ist der Führer mit der ➔ Die Neustätterstraße vom 21. November im Benehmen mit dem Stadtarchiv festge-
Umbenennung einverstanden. Er ist auch 1905 mit der Widmung: „Rosa und stellt, doch erfordert diese Nachprüfung
mit den beiden vorgeschlagene neuen Na- Sigmund Neustätter, bedeutende Wohl- bei nahezu 4.000 Straßennamen noch ge-
men einverstanden. Ebenso ist der Stellver- tätigkeitsstiftung“ erfuhr am 29. April raume Zeit. Sofern derartige Personen noch
treter des Führers mit der vorgeschlagenen 1937 ihre Umbenennung in Herrenrei- festgestellt werden, werden die Straßen
Formulierung der Begründung der beiden terstraße: „Georg Herrenreiter, Gefreiter unverzüglich umbenannt werden.“ Zur
Straßennamen einverstanden.“ Der Habs- der 3. Kompanie des 2. Infanterie-Regi- Erläuterung: Als „Mischlinge I. Grades“
burgerplatz hieß seitdem Von-Schönerer- ments Kronprinz, Inhaber der goldenen galten Personen mit einem jüdischen
Platz: „Georg Ritter von Schönerer, Vor- Tapferkeitsmedaille, hielt 14 Tage lang Elternteil.
kämpfer für den Rassegedanken und den als Baumschütze eine ganze feindliche
großdeutschen Gedanken in Österreich. Stellung in Schach, geboren 2.5.1891 Mit gleicher Post wurde dem Stadtbauamt,
Geboren 17.7.1842 zu Wien, gestorben in Reisbach/Niederbayern, gefallen Abteilung Tiefbau, angeordnet, die Stra-
14.8.1921 auf Gut Rosenau bei Zwettl“, 28.1.1916 vor La Folie.“ Am 14. Januar ßennamenschilder der bereits umbenann-
die Habsburgerstraße nun Planettastraße: 1947 erfolgte die Rückbenennung mit ten, früher nach Juden benannten Straßen
„Otto Planetta, österreichischer Heeres- der erweiterten Widmung: „Sigmund umgehend zu entfernen, was bei der Traut-
angehöriger, Vorkämpfer für den national- und Rosa Neustätter, Privatierseheleute, mannstraße ja praktischerweise nicht not-
sozialistischen Gedanken in Österreich, die letztwillig im Jahre 1900 mit einem wendig war. Ebenso erhielt das Stadtarchiv
opferte sich in uneigennütziger Weise für Kapital von 100.000 RM eine Wohltätig- den Auftrag, alle Straßennamen daraufhin
seine Kameraden. Geboren 2.8.1899 zu keitsstiftung errichteten.“ zu untersuchen, ob sich darunter „jüdische
Wischau, hingerichtet am 31.7.1934 zu Mischlinge I. Grades“ befänden.
Wien.“ Ein Stadtrat ergänzte noch: „Das ➔ Meyerbeerstraße vom 4. August 1921:
waren die zwei Antisemiten.“ Platz und „Jakob Meyerbeer, Opernkomponist,
Straße erfuhren gleich am 6. Juni 1945 geboren 5.9.1791 in Berlin, gestorben Treitschkestraße
ihre Entnazifizierung und Rückbenennung. 2.5.1864 in Paris“ zu Johann-Pez-Stra-
ße: „Sohn des gleichnamigen Münchner Am 25. Mai 1939 diskutierte der Stadtrat
Stadttürmers bei Sankt Peter, Musiker die Benennung einer Treitschkestraße.
Um- und Rückbenennungen und Komponist, zunächst in München, Oberbürgermeister Fiehler erläuterte:
seit 1695 Kurkölnischer Kapellmeister zu „Heinrich von Treitschke war führender
Diese vier Beispiele werfen ein Schlaglicht Bonn, seit 1706 Oberkapellmeister zu deutscher Geschichtsschreiber und der
auf die Atmosphäre der damaligen Zeit. Es Stuttgart.“ Dieser Name blieb bis heute wichtigste publizistische Mitarbeiter Bis-
können hier nicht sämtliche Umbenennun- bestehen, die Meyerbeerstraße entstand marcks im Kampfe um die Deutsche Ein-
gen dieser Sorte aufgeführt werden, ledig- 1947 in Obermenzing neu. heit, Vorkämpfer für den Machtstaat mit
lich einige weitere: einer von den Parteien unabhängigen Füh-
➔ Keine Umbenennung, sondern prakti- rung und scharfer Gegner des Judentums.
➔ Die Karl-Singer-Straße (1861–1908) scherweise nur eine auf dem Straßen-
vom 4. November 1909 erinnerte an: schild und den Hausnummernschildern Von ihm stammt das Wort: ‚Die Juden sind
„Der 1908 verstorbene städtische Direk- kostenlose, weil unsichtbare Umwid- unser Unglück.’ Dies alles vorbehaltlich der
tor des statistischen Amtes Dr. Karl mung erfuhr die Trautmannstraße vom Zustimmung des Führers.“ Hitler hatte sich
Singer war Vorstand des Vereines zur 29. November 1906: „Franz Trautmann, nämlich ausbedungen, als Beauftragter der
Verbesserung der Wohnungsverhältnisse bekannter Dichter und Schriftsteller, ge- NSDAP für München auch bei der Benen-
in München.“ Seit dem 7. Dezember storben zu München 1887.“ Nun hieß es nung der Münchner Straßen das letzte Wort
1933 hieß sie Schlieffenstraße: „Alfred seit dem 21. April 1938: „Dr. Karl Traut- zu sprechen. Ein weiteres unsympathisches
Graf von Schlieffen, Generalfeldmar- mann, Münchener Geschichtsforscher Zitat aus Treitschkes Werken lautet: „ Das
schall, geboren 28.2.1833 und gestor- und Schriftsteller, Verfasser der ‚Kultur- Wesen des Staates ist Macht, nochmals
ben 4.1.1913 in Berlin, 1891–1905 Chef bilder aus Alt-München’. Geboren Macht und zum dritten Mal Macht.“ Am
des Großen Generalstabs. Nach dem 4.11.1857 zu München, gestorben 18. Juli 1939 erfuhr man, allerdings ohne
Schlieffen-Plan erfolgte 1914 der Auf- 22.3.1936 zu München.“ Diese Erklärung Angabe von Gründen: „Der Vorschlag
marsch der deutschen Armee.“ Seit blieb bis heute erhalten. ‚Treitschkestraße’ ist abgelehnt worden.“
14. Januar 1947 heißt sie Erhard-Auer- Erstaunlicher- und unverständlicherweise
Straße: „Hauptschriftleiter der Münch- benannte der Stadtrat dann nach dem Drit-
ner Post, Staatsminister des Innern von Vollzug ten Reich am 19. April 1960 in Moosach
1918-1919 und ab Juli 1920 mehrere tatsächlich die Treitschkestraße mit der
Jahre Vizepräsident des bayerischen Schon am 2. September 1938 konnte die neutralen Erklärung: „Professor Heinrich
Landtages. Geboren 22.12.1874 in Dom- Stadtverwaltung der Regierung von Ober- von Treitschke, geboren 15.9.1834 in Dres-
melstadl bei Passau, gestorben bayern mitteilen: „Die nach Juden benann- den, gestorben 28.4.1896 in Berlin.“
SEPTEMBER 2023 ⁄ TAXIKURIER ⁄ 21