Page 30 - Taxikurier Oktober 2024
P. 30

GESCHICHTE

            ➔ SÄUFER, DEPPEN, RÜPEL





           München vor hundert Jahren – Von Benedikt Weyerer



           Im Jahr 1927 verlegte ein Max Popp, wohnhaft in der Baumstraße 12 im 2. Stock links, im Selbstverlag seine
             Broschüre „Fideles von, über und in München“, die verdientermaßen über eine kleine erste Auflage nicht hinauskam.
           In Versform ließ er seine Leserschaft an seinen angeblichen Beobachtungen teilhaben, zum Beispiel:


              „Die Münchner Füßchen: Der Fremde   klatschenden Klischees regten sich die   Menschenschlag von den „Münchener Spe-
             kommt hierher in Hast, sieht Rathaus,   „Nymphenburger Zeitung und Neuhauser   zialitäten“ zusammenhalten, die da waren:
             Dom, den Glaspalast, Museum noch,   Nachrichten“ in ihrer Ausgabe vom 24. Juli   „Schnitzel, Saftbraten, Backhendl, Haxn,
             dann ruht er aus bei frischer Mass im   1921 auf: „Schon öfter wurde Veranlassung   Deutsches Beefsteak, Kalbskopf, Saure
             Hofbräuhaus. Aufs Neue setzt er an zum   genommen, gegen den Verkauf von An-    Leber, Surfleisch, Regensburger Würste,
             Sturm, besteigt Bavaria, Petersturm. Ist   sichtspostkarten Stellung zu nehmen, die   Kalbsschäuferl, Kronfleisch, Gselchte,
             wieder er auf Münchner Erd’, Dann wer-  geeignet sind, München als Saufstadt und   Gschwollene, Fleischpflanzl, Knödel, Radi,
             den Galerien beehrt, sieht Siegestor und   seine Bewohner als wüste Trunkenbolde    Kren, Oar.“ Nicht alle Bezeichnungen für
             Propyläen, doch eines tut er nicht er-  vor aller Welt zu brandmarken. Auch auf   diese Spezialitäten konnten die Fremden
             spähen, obgleich es wimmelt stets um   dem diesjährigen Magdalenenfest sind   verstehen, so dass ein „Fremdwörterlexi-
             ihn: Den kleinen Fuß der Münchnerin.“    wieder, neben schönen künstlerischen   kon“ den Stadtführer abrundete: „Für die
                                               Darstellungen, solche hundsgemeinen An-  hier so zahlreich verkehrenden Fremden
           Trotz dieser Ignoranz seitens der Fremden   sichtspostkarten ausgestellt. Da sieht man   seien einige Wörter und Redensarten über-
           hinsichtlich einer offensichtlichen Sehens-  Besoffene in den unmöglichsten Stellungen   setzt, bei deren Gebrauch äußerste Vorsicht
           würdigkeit war München nach Popps Ein-  zwischen Fässern und Krügen und bedenkt   anempfohlen wird, wie der Nichtbayer
           schätzung drauf und dran, auf dasselbe   dabei nicht, dass derartige Typen überall zu  überhaupt am besten hiesige und auswärti-
           Schicksal wie das heutige Mallorca hinzu-  finden sind. Unser guter Ruf wird dadurch   ge dialektische Aussprüche und Ausdrücke
           steuern: „International. Mein Münchner,  du   empfindlich geschädigt. Endlich sollte    vermeidet und Schriftdeutsch spricht.“ Für
           wähnst, die Stadt gehöre dir, nun sei ein-  das Volk sich eine derartige witzlose Ge-  den Münchner Alltag erschienen folgende
           mal stad und glaub diesmal mir. Ein Frem-  schmacksverrohung verbitten und nichts   Begriffe unverzichtbar. Eine Auswahl:
           denstrom einfließt so Tag für Tag, es wird   Derartiges mehr kaufen, dann würde die
           manchem heimisch, nicht weiter er mag.   Spekulation gewissenloser Fabrikanten bald   „ausschmieren = betrügen“, „Guinelfi =
           Und zeigt der Kalender das letzte Blatt,   am Ende sein.“             ekelhafter Kerl“, „schwofen = tanzen“,
           warn’s so viel Fremde, wie nicht Leut’ hat                          „dalket = ungeschickt“, „damisch“, „Depp“,
           die Stadt. Drum eben die Stadt, so sehr                             „gschert“, „grüabig“, „Kloifi = gscherter
           dir’s missfällt, sie gehört nicht dem Münch-  Alkohol und die Menschen der Stadt  Rammel“, „Gschpusi“, „jodeln“, „Matscha-
           ner, sie gehört aller Welt.“                                        ckerl = Gschpusi, nur von kürzerer Dauer.“
                                             Ein „A.S.“, der wohl sicherheitshalber und   Über München selbst erfährt man, dass
                                             wohlweislich anonym bleiben wollte, veröf-  „wohl keine Stadt der Welt so gesegnet mit
           Früher Protest                    fentlichte im Jahr 1929 seinen Stadtführer   Bieretablissements“ sei: „Was da in die
                                             „München. Die Kunst-, Bier- und Sport-  Binsen geht, scheint einem Nichtmünchner
           Popp verbreitete sich natürlich in seinen   stadt“, der lustig gemeint war, aber diesen   ungeheuerlich und ist auch tatsächlich er-
           „Wiesnfest-Scherzen“ auch über das Okto-  Anspruch weit verfehlte. Unentwegt Bier   staunlich.“ Immerhin war auf diesem Ge-
           berfest: „Welche Versicherung muss noch   trinkende Bevölkerungsgruppen im damali-  biet die Gleichberechtigung der Geschlech-
           gegründet werden? – Die Oktoberfest-   gen München waren laut A.S.: „Kellnerin“,   ter wenigstens in München bereits erreicht:
           Hühneraugen-Versicherung.“  Oder: „Wel-  „Dackel“, „Droschkenkutscher“, „Vetter aus   „Die Kanonenräusche teilen sich ehrlich
           che ist die größte Bierbude? – Diejenige,   Zorneding“, „Maurer“, „Bierführer“, „Milch-  das männliche und weibliche Geschlecht.“
           wo man so viele Mass getrunken hat, dass   bauer aus Berg am Laim“ und nicht zu ver-
           man die hintere Wand nicht mehr sehen   gessen „Der Bua: Was so ein richtiger Bayer  Und in diesem Milieu „entwickelt sich erst
           kann.“ Was dabei lustig sein soll, wird wohl  ist, ⁄ Stemmt schon als Zwatzerl seinen   das ureigentliche gemütliche Münchener
           das Geheimnis des Autors geblieben sein.   Krug. ⁄ Und später, dass ihr es nur wisst, ⁄     Leben mit allen seinen Freuden.“ In diesem
           Gerade der angebliche, übermäßige und   Kriegt er am Bier erst recht nicht g’nug. ⁄     Zusammenhang wies A.S. die Fremden auch
           dazu noch alltägliche Alkoholkonsum fand   So wachsen hierzuland einmal, ⁄ Wie man   auf eine weitere positive, von ihm beob-
           sich auch auf zahllosen Postkarten-Motiven   sich überzeugen kann, ⁄ Kernfrische Bur-  achtete Seite des Münchners hin: „Wohl
           wieder, die von München aus in alle Welt   schen ohne Zahl, ⁄ Zum Wohl des Vaterlands  hat der Münchner eine eigenartige urbane
           versandt wurden. Gegen diese schenkel-  heran.“ Leib und Seele ließ sich dieser   Form der Höflichkeit, wenn er sein Tages-




           30 ⁄ TAXIKURIER ⁄ OKTOBER 2024
   25   26   27   28   29   30   31   32   33   34   35