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GESCHICHTE
➔ SÄUFER, DEPPEN, RÜPEL
München vor hundert Jahren – Von Benedikt Weyerer
Im Jahr 1927 verlegte ein Max Popp, wohnhaft in der Baumstraße 12 im 2. Stock links, im Selbstverlag seine
Broschüre „Fideles von, über und in München“, die verdientermaßen über eine kleine erste Auflage nicht hinauskam.
In Versform ließ er seine Leserschaft an seinen angeblichen Beobachtungen teilhaben, zum Beispiel:
„Die Münchner Füßchen: Der Fremde klatschenden Klischees regten sich die Menschenschlag von den „Münchener Spe-
kommt hierher in Hast, sieht Rathaus, „Nymphenburger Zeitung und Neuhauser zialitäten“ zusammenhalten, die da waren:
Dom, den Glaspalast, Museum noch, Nachrichten“ in ihrer Ausgabe vom 24. Juli „Schnitzel, Saftbraten, Backhendl, Haxn,
dann ruht er aus bei frischer Mass im 1921 auf: „Schon öfter wurde Veranlassung Deutsches Beefsteak, Kalbskopf, Saure
Hofbräuhaus. Aufs Neue setzt er an zum genommen, gegen den Verkauf von An- Leber, Surfleisch, Regensburger Würste,
Sturm, besteigt Bavaria, Petersturm. Ist sichtspostkarten Stellung zu nehmen, die Kalbsschäuferl, Kronfleisch, Gselchte,
wieder er auf Münchner Erd’, Dann wer- geeignet sind, München als Saufstadt und Gschwollene, Fleischpflanzl, Knödel, Radi,
den Galerien beehrt, sieht Siegestor und seine Bewohner als wüste Trunkenbolde Kren, Oar.“ Nicht alle Bezeichnungen für
Propyläen, doch eines tut er nicht er- vor aller Welt zu brandmarken. Auch auf diese Spezialitäten konnten die Fremden
spähen, obgleich es wimmelt stets um dem diesjährigen Magdalenenfest sind verstehen, so dass ein „Fremdwörterlexi-
ihn: Den kleinen Fuß der Münchnerin.“ wieder, neben schönen künstlerischen kon“ den Stadtführer abrundete: „Für die
Darstellungen, solche hundsgemeinen An- hier so zahlreich verkehrenden Fremden
Trotz dieser Ignoranz seitens der Fremden sichtspostkarten ausgestellt. Da sieht man seien einige Wörter und Redensarten über-
hinsichtlich einer offensichtlichen Sehens- Besoffene in den unmöglichsten Stellungen setzt, bei deren Gebrauch äußerste Vorsicht
würdigkeit war München nach Popps Ein- zwischen Fässern und Krügen und bedenkt anempfohlen wird, wie der Nichtbayer
schätzung drauf und dran, auf dasselbe dabei nicht, dass derartige Typen überall zu überhaupt am besten hiesige und auswärti-
Schicksal wie das heutige Mallorca hinzu- finden sind. Unser guter Ruf wird dadurch ge dialektische Aussprüche und Ausdrücke
steuern: „International. Mein Münchner, du empfindlich geschädigt. Endlich sollte vermeidet und Schriftdeutsch spricht.“ Für
wähnst, die Stadt gehöre dir, nun sei ein- das Volk sich eine derartige witzlose Ge- den Münchner Alltag erschienen folgende
mal stad und glaub diesmal mir. Ein Frem- schmacksverrohung verbitten und nichts Begriffe unverzichtbar. Eine Auswahl:
denstrom einfließt so Tag für Tag, es wird Derartiges mehr kaufen, dann würde die
manchem heimisch, nicht weiter er mag. Spekulation gewissenloser Fabrikanten bald „ausschmieren = betrügen“, „Guinelfi =
Und zeigt der Kalender das letzte Blatt, am Ende sein.“ ekelhafter Kerl“, „schwofen = tanzen“,
warn’s so viel Fremde, wie nicht Leut’ hat „dalket = ungeschickt“, „damisch“, „Depp“,
die Stadt. Drum eben die Stadt, so sehr „gschert“, „grüabig“, „Kloifi = gscherter
dir’s missfällt, sie gehört nicht dem Münch- Alkohol und die Menschen der Stadt Rammel“, „Gschpusi“, „jodeln“, „Matscha-
ner, sie gehört aller Welt.“ ckerl = Gschpusi, nur von kürzerer Dauer.“
Ein „A.S.“, der wohl sicherheitshalber und Über München selbst erfährt man, dass
wohlweislich anonym bleiben wollte, veröf- „wohl keine Stadt der Welt so gesegnet mit
Früher Protest fentlichte im Jahr 1929 seinen Stadtführer Bieretablissements“ sei: „Was da in die
„München. Die Kunst-, Bier- und Sport- Binsen geht, scheint einem Nichtmünchner
Popp verbreitete sich natürlich in seinen stadt“, der lustig gemeint war, aber diesen ungeheuerlich und ist auch tatsächlich er-
„Wiesnfest-Scherzen“ auch über das Okto- Anspruch weit verfehlte. Unentwegt Bier staunlich.“ Immerhin war auf diesem Ge-
berfest: „Welche Versicherung muss noch trinkende Bevölkerungsgruppen im damali- biet die Gleichberechtigung der Geschlech-
gegründet werden? – Die Oktoberfest- gen München waren laut A.S.: „Kellnerin“, ter wenigstens in München bereits erreicht:
Hühneraugen-Versicherung.“ Oder: „Wel- „Dackel“, „Droschkenkutscher“, „Vetter aus „Die Kanonenräusche teilen sich ehrlich
che ist die größte Bierbude? – Diejenige, Zorneding“, „Maurer“, „Bierführer“, „Milch- das männliche und weibliche Geschlecht.“
wo man so viele Mass getrunken hat, dass bauer aus Berg am Laim“ und nicht zu ver-
man die hintere Wand nicht mehr sehen gessen „Der Bua: Was so ein richtiger Bayer Und in diesem Milieu „entwickelt sich erst
kann.“ Was dabei lustig sein soll, wird wohl ist, ⁄ Stemmt schon als Zwatzerl seinen das ureigentliche gemütliche Münchener
das Geheimnis des Autors geblieben sein. Krug. ⁄ Und später, dass ihr es nur wisst, ⁄ Leben mit allen seinen Freuden.“ In diesem
Gerade der angebliche, übermäßige und Kriegt er am Bier erst recht nicht g’nug. ⁄ Zusammenhang wies A.S. die Fremden auch
dazu noch alltägliche Alkoholkonsum fand So wachsen hierzuland einmal, ⁄ Wie man auf eine weitere positive, von ihm beob-
sich auch auf zahllosen Postkarten-Motiven sich überzeugen kann, ⁄ Kernfrische Bur- achtete Seite des Münchners hin: „Wohl
wieder, die von München aus in alle Welt schen ohne Zahl, ⁄ Zum Wohl des Vaterlands hat der Münchner eine eigenartige urbane
versandt wurden. Gegen diese schenkel- heran.“ Leib und Seele ließ sich dieser Form der Höflichkeit, wenn er sein Tages-
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