Page 34 - Taxikurier Oktober 2024
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RECHTSPRECHUNG


            ➔ URTEILE



           Nicht alles, was ein bisschen nach Kreuzung aussieht,
           ist auch eine



           Mitverschulden des Klägers von 25 %

           Ein Auto fuhr in Lübeck auf einen „Platz“ zu, um nach links abzu-
           biegen. Ein anderes Auto befand sich auf einem Parkplatz. Als es
           von dort auf die Straße fuhr stieß es auf dem „Platz“ mit dem
           Linksabbieger zusammen. Das Landgericht Lübeck hat entschie-
           den, dass der Fahrer des vom Parkplatz kommenden Autos 75 % der
           Unfallschäden erstatten muss.

           Nach § 10 S. 1 StVO hat sich ein Fahrzeugführer, der aus einem
           Grundstück auf die Straße oder von anderen Straßenteilen auf die
           Fahrbahn einfahren will, so zu verhalten, dass eine Gefährdung   Fahrzeughändler kann sich nicht beliebig lange
           anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Zu den „anderen   Lieferzeit vorbehalten
           Straßenteilen“ im Sinne dieser Bestimmung gehören etwa Geh-
           wege, Seitenstreifen und Parkplätze einschließlich ihrer Zu- und
           Abfahrten. Wer von dort auf die Straße fährt, muss äußerste   Zu lange Lieferzeit berechtigt zum Rücktritt vom Vertrag
             Sorgfalt wahren, vor allem gegenüber dem fließenden Verkehr.
                                                              Das Amtsgericht Hanau hat entschieden, dass sich der Verkäufer
                                                              über eine Klausel in dem Fahrzeugkaufvertrag nicht von der Pflicht
           Keine allgemeine Haftung aufgrund                  befreien kann, den PKW zumindest innerhalb einer angemessenen
           unklarer  Straßenverhältnisse                      Frist zu liefern.

           Das Landgericht Lübeck hat entschieden, dass der Fahrer des vom   In einem Kaufvertrag über ein noch herzustellendes Fahrzeug be-
           Parkplatz kommenden Autos 75 % der Unfallschäden erstatten   fand sich eine Klausel, nach der es wegen Lieferschwierigkeiten
           muss. Warum nicht 100 %? Weil die Situation ziemlich unüber-  für Bestellungen keinen Liefertermin gebe. Nach mehrfachen
           sichtlich war. Die Bodenbeläge aus Asphalt und Pflasterung lassen     Anfragen und einer Fristsetzung erklärte der Käufer knapp ein
           keine klaren Rückschlüsse zu, wo der Parkplatz endet und die Stra-  Jahr nach Kaufabschluss den Rücktritt von dem Vertrag. Hierfür
           ße beginnt und es gibt keine klare Beschilderung. Die Richterin-  forderte der Händler sodann Schadensersatz in Form von „Storno-
           nen und Richter der Berufungskammer führen aus: „Insgesamt hat   Gebühren“ von über 3.000 Euro, da er ausdrücklich keinen
           die Straßenführung vor Ort durchaus die Anmutung einer Kreuzung     Liefertermin zugesagt habe.
           mit vier Fahrtrichtungen. Aufgrund dieser unklaren Straßenverhält-
           nisse und aufgrund des Umstands, dass der Kläger an einer tat-
           sächlichen Kreuzung nach § 9 StVO vorfahrtsberechtigt gewesen   Autokäufer kann ohne Zahlung von Stornokosten
           wäre, wiegt der Verstoß der Beklagten nicht derart schwer, dass er   vom Kaufvertrag zurücktreten
           die allgemeine [Haftung] der Klägerseite vollständig in den Hin-
           tergrund treten lässt.“ Anmerkung: die Straße wurde mittlerweile   Das Amtsgericht hat entschieden, dass dem Händler keine Stornie-
           bereits teilweise umgebaut. Das Urteil ist rechtskräftig.  rungskosten zustehen. Denn die Regelung in dem Kaufvertrag sei
                                                              eine vorformulierte allgemeine Geschäftsbedingung, über die sich
           (Landgericht Lübeck, Urteil vom 10.05.2024 – 14 S 7 ⁄ 23)  der Händler letztlich unzulässiger Weise die Gültigkeit des Vertrags
                                                              habe vorbehalten wollen. Maßgeblich sei daher, ob der Käufer tat-
                                                              sächlich eine angemessene Zeit abgewartet habe, innerhalb derer
                                                              der Händler das Fahrzeug liefern musste. Das sei unter Abwägung
                                                              der Interessen beider Seiten jedenfalls nach 18 Monaten der Fall
                                                              (der Kläger hatte im Prozess erneut den Rücktritt erklärt). Somit
                                                              stünden dem Händler auch keine Ersatzansprüche zu. Das Urteil ist
                                                              rechtskräftig.

                                                              (Amtsgericht Hanau, Urteil vom 31.01.2024 – 39 C 111 ⁄ 23)






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