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➔ JUSTIZNEUBAU
Das Strafjustizzentrum ist Bayerns grösste Baustelle
Bayerns größte staatliche Baustelle wächst gen Himmel. Der Rohbau des neuen Strafjustizzentrums (SJZ) an der Dachauer
Straße nimmt mit einem Volumen von 440.000 Kubikmetern sichtbar Form an. Ab dem Jahr 2024 sollen hier in sieben Behörden
an die 1.300 Beschäftigte tätig sein. Auf der ehemaligen Circuswiese am Leonrodplatz entstehen 54 neue Gerichtssäle.
Jede Geschichte hat ihre Vorgeschichte – 1908) ein wahrer Bierpalast im Stil der
so auch die des Münchner Strafjustizzent- deutschen Renaissance. Dieser Arzber- Von der Nymphenburger Straße zum Leonrodplatz.
Das derzeitige Strafjustizgebäude in der Nymphenburger Straße.
rums an der Nymphenburger Straße 16. ger-Keller war eine Sensation für München,
Nach dem Ende der letzten Eiszeit vor rund da hier erstmals in München ein Gaststät-
12.000 Jahren grub sich die Isar ein brei- tenbetrieb mit elektrischem Licht ausge-
tes Flussbett, dessen westliches Ufer im stattet wurde. Nicht lang nach der Eröff-
heutigen Münchner Stadtgebiet immer nung kam es an zwei aufeinanderfolgenden
noch gut zu erkennen ist. Beispielsweise Sonntagen, dem 16. und 23. April 1893, zu
gehört der weltweit bekannte und berüch- folgenden Vorkommnissen der besonderen
tigte Kotz- und Pieselhügel an der There- Art, wie die „Münchner Neuesten Nachrich-
sienwiese dazu, von dem man nur hoffen ten“ berichteten: Rund 500 Sozialdemokra-
kann, dass er heuer endlich wieder während ten versammelten sich im Arzberger-Keller
der Wies´n durchfeuchtet werden möge. zu einem „Konsumentenboykott“, aber
Ein Stück weiter nördlich hat sich das ehe- „nicht in der Absicht, dort einzukehren und
malige Flussbett im leichten Anstieg der als Gäste zu verweilen, sondern in der Ab-
Landsberger Straße, der Arnulfstraße, der sicht, in den Räumlichkeiten möglichst lan-
Marsstraße, der Karlstraße sowie der ge zu bleiben, möglichst wenig zu konsu-
Nymphenburger Straße erhalten. Diesen mieren, Wasser statt Bier, oder Bier aus
Anstieg nutzten Brauereien zum Bau ihrer benachbarten Wirtschaften zu trinken, die
Keller, um vor der Erfindung der Kühlma- für andere Gäste bestimmten Plätze einzu-
schine durch Carl von Linde (1842–1934, nehmen und durch ihr geschlossenes Auf-
Doktor-Carl-von-Linde-Straße von 1982) im treten Gäste zu vertreiben.“ Der Grund für
Jahr 1877 ihr Bier frisch zu halten. Eine dieses Vorgehen war die Weigerung der
dieser Brauereien war die Löwenbrauerei an meisten Münchner Wirte, der SPD Säle und
der Nymphenburger Straße 4, deren Gebäu- Nebenzimmer für ihre Versammlungen zu
de östlich der Sandstraße seit 2012 durch vermieten. Man konnte damals natürlich
Büros und Wohnungen ersetzt wurden. nicht ahnen, dass am Ort dieses juristisch
kontroversen Geschehens einst das Straf-
justizzentrum stehen würde. Wie auch im-
ArzbergerKeller mer: Am 17. Dezember 1944 fiel die Groß-
gaststätte dem Bombenkrieg zum Opfer
Westlich der Sandstraße, mit der Adresse und blieb bis 1970 als Ruinenfeld stehen. Nymphenburger Straße 16 wurde 1968 ein
Nymphenburger Straße 10, entstand aus Der Freistaat Bayern erwarb das Gelände, Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Die
den oben genannten Gründen im Jahr 1820 um sein neues Strafjustizzentrum darauf zu Planung und Bauausführung übernahmen
ebenfalls ein Keller mit Ausschank drinn- errichten. Die bisherige Hausnummer 10 die Preisträger Peter Kaup, Helmut Scholz
nen und draußen, benannt nach der alten wurde eingezogen und die neue Anschrift und Christoph Wortmann in Zusammen arbeit
Münchner Bierbrauerfamilie Arzberger. Die lautet seitdem Nymphenburger Straße 16. mit dem Landbauamt München zwischen
Arzberger Straße von 1935 hat damit aber 1970 und 1977. Den Haupttrakt bilden
nichts zu tun, sondern heißt nach der zwei versetzte, parallel zur Nymphenburger
Stadt in Oberfranken. Gabriel Sedlmayr Das Gebäude Straße angeordnete Baukörper mit vorgela-
(1772–1839, die Sedlmayrstraße von 1902 gertem Schwurgerichtssaal. Vertikal wurde
erinnert an seinen Sohn) von der Spaten- Das offiziöse Buch „München und seine das Gebäude gegliedert in eine der Öffent-
brauerei erwarb das Anwesen 1827 und Bauten nach 1912“, herausgegeben 1984 lichkeit zugängliche dreigeschossige
Jahrzehnte später, 1881 bis 1882, entstand vom Bayerischen Architekten- und Inge- Sockel zone mit Sitzungssälen und Bera-
nach den Plänen des Architekten Gabriel nieur-Verband, beschreibt das Gebäude wie tungszimmern und dem auf Stahlbetonträ-
von Seidl (1848–1913, Seidlstraße von folgt: „Für das Zentraljustizgebäude an der gern darüberliegenden sechsgeschossigen,
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