Page 17 - Taxikurier Juli 2023
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Autogerechte Stadt
Die im Mittelalter entstandenen Städte mit
überwiegend engen Straßen und Gassen,
die Jahrhunderte vor der Entstehung des
Automobils angelegt worden waren, sollten
an moderne Mobilitätsbedürfnisse ange-
passt werden, insbesondere um die Erreich-
barkeit der Städte für Autofahrer und die
Anlieferung von Waren sicherzustellen.
Wichtige Bestandteile der Idee der auto-
gerechten Stadt waren mehrspurige Um-
gehungsstraßen (Stadtringe, oft unter Aus-
nutzung von Wallanlagen und ehemaligen
Flächen mittelalterlicher Stadtbefestigun-
gen), Fußgängerzonen, Unterführungen für
den Fuß- und Radverkehr sowie Parkhäuser
für die Stadtzentren. Nach dem Zweiten
Weltkrieg (1939–1945) lagen viele Städte
in Trümmern und darin sahen ihre Verwal-
tungen oftmals eine gute Gelegenheit, sie
den neuen Verkehrsverhältnissen anzupas-
sen und sie autogerecht wiederaufzubauen.
Eine autogerechte Stadt ist eine an den
Bedürfnissen des motorisierten Individual-
verkehrs orientierte Stadt. Das Schlagwort
leitet sich vom Titel des 1959 erschienenen
Buches „Die autogerechte Stadt – Ein Weg
aus dem Verkehrs-Chaos“ des Stadtplaners
Hans Bernhard Reichow (1899–1974) ab, heimische wie auch Besucher nicht gerade wegen vor. Seit 1933 kamen dann bereits
eines entschiedenen Verfechters dieser positiv beeinflusst hat. Nebenbei bemerkt, die zuvor geplanten Autobahnen nach
Idee. Es ging dabei um die autogerechte blieb die Straßenbahn in Ostberlin erhal- Augsburg, Nürnberg und Salzburg hinzu.
Stadt durch Ausrichtung der Planung am ten, während ihr Betrieb in Westberlin ein- Am 21. März 1934 etwa begannen südlich
motorisierten Individualverkehr und einer gestellt wurde, und so blieb es bis heute. von Ramersdorf die Bauarbeiten für die
großzügigen Gestaltung des Verkehrsraumes Autobahn in Richtung Salzburg. Bereits in
bei gleichzeitiger Unterordnung nicht moto- den 1920er-Jahren waren die Wohnsiedlun-
risierter Verkehrsträger und Verkehrsteilneh- Autogerechtes München gen in Ramersdorf so angelegt worden, dass
mer. Außerdem um die örtliche Trennung die erwarteten Verkehrsströme in die Stadt
von Wohnvierteln und Gewerbegebieten Das Konzept der autogerechten Stadt ent- und aus ihr heraus ungehindert durchflie-
und um die konfliktarme Entmischung der stand bereits in den 1920er-Jahren mit der ßen konnten, etwa an der weiträumig ange-
Verkehrsflächen für den reduzierten Öffent- stetigen Zunahme des motorisierten Stra- legten Kreuzung zum Mittleren Ring am
lichen Personen-Nahverkehr und die Fuß- ßenverkehrs. Die Idee, die Verkehrsströme heutigen Karl-Preis-Platz, bis 1946 der
gänger. Das Radfahren galt damals in brei- in München auf Ringstraßen zu bündeln, ist Melusinenplatz. Dafür wurden dann auch
ten Bevölkerungskreisen noch als Zeichen fast so alt wie das Automobil selbst. Auch die Ludwigsbrücke verbreitert, deren Fahr-
von Armut, weshalb man lieber mit einem in München fanden diese Ideen damals bahnen jetzt wieder auf ihre alte Breite ver-
fahrbaren Untersatz protzte, und sei es aus schon ihren praktischen Niederschlag im engt werden, und im Alten Rathaus 1935
Geldmangel nur ein lachhaftes Goggomobil, Stadtbild. So wurde der Bau eines Mittleren die zweite Durchfahrt geschaffen, damit
eine BMW-Isetta oder gar ein Messerschmitt- Ringes vorbereitet und das erkennt man sich der Automobilverkehr besser auf dem
Kabinenroller. Es war dies auch die Zeit, in heute noch an den Baulinien. Seine breite Marienplatz bündeln und wieder verteilen
der weltweit in sehr vielen Städten die Trasse sollte ursprünglich beispielsweise konnte. Eines der radikalsten Konzepte
Straßenbahnen abgeschafft wurden. Welt- über die Ampfingstraße, Aschheimer Straße, dürfte eine im Juni 1954 vorgestellte Pla-
weit fand das Konzept der autogerechten Melusinenstraße, Claudius-Keller-Straße so- nung gewesen sein: Die drei Autobahnen
Stadt Anwendung. Einige Beispiele: Die wie Werinherstraße verlaufen und dafür er- samt ihren Ab- und Zufahrten sollten teils
neue brasilianische Hauptstadt Brasilia, in richtete man die Gebäude in entsprechend als Hochstraßen, teils als Einschnitte in die
einem Guss zwischen 1956 bis 1960 erbaut, großen Abständen. Die Baufronten ziehen Innenstadt geführt werden. Zwischen Ha-
die ausufernden Städte in den USA, in sich dort in weitem Schwung dahin, wobei cker- und Donnersbergerbrücke sollten die
Westdeutschland Hannover, Stuttgart oder die Wohnhäuser Platz für vier, wenn nicht vier- bis sechsspurigen Trassen über den
Dortmund, in Ostdeutschland Magdeburg sogar sechs Fahrspuren lassen. Eine Studie Gleisanlagen verknotet und mit dem städti-
oder Berlin um den Alexanderplatz. In all aus dem Nachkriegsjahr 1946 nahm das schen Straßennetz verbunden werden. Die
diesen Fällen muss man feststellen, dass Ringkonzept wieder auf und sah einen Autobahn Stuttgart beispielsweise wäre
die Umsetzung der Idee in die Praxis die Ausbau mit drei Fahrspuren pro Richtung, vierspurig und teilweise auf Stelzen durch
Attraktivität der betroffenen Städte für Ein- einem Mittelstreifen, Baumreihen und Geh- den Grünzug Am Durchblick, westlich und
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