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STADTKUNDE MÜNCHEN
➔ VORSTÄDTE VOM REISSBRETT
Straßennamen – Von Benedikt Weyerer
Unter Burgfrieden versteht man den Bereich außerhalb der Stadtmauern, der aber trotzdem der städtischen
Rechtsprechung unterstand. Wie der Begriff „Bürger“ bezieht sich das Wort auf den militärischen Schutz des
Rechtsfriedens durch die Burg herren, die ihren Sitz innerhalb der Stadt hatten. Der Münchner Burgfriede
umfasste die Gebiete der heutigen Ludwigsvorstadt, Maxvorstadt, der Isarvorstadt sowie des Lehels mit dem
Gasteig jenseits der Isar, wo die Stadt und ihre Bürger Grundstücke besaßen.
Um das Jahr 1800 herum boten die mittel- von 1829 mit Bezug auf das Übungsgelän- Auch die fernere Vergangenheit wurde 1886
alterlichen Stadtmauern keinen Schutz de der paramilitärischen Organisation, der nicht vergessen mit der Herzog-Heinrich-
mehr vor der modernen Waffe der Artillerie, alle Männer vom 28. bis zum 32. Lebens- Straße und Kaiser-Ludwig-Platz, ersterer
vielmehr engten sie die expandierenden jahr angehörten, außerdem die Rennbahn- lebte von 1129 bis 1195 und gilt als Grün-
Städte der frühen Industrialisierung ein. straße von 1854 mit Bezug auf die Pferde- der Münchens, zweiterer lebte von 1282 bis
Als die Befestigungen deshalb geschleift rennbahn auf der Theresienwiese. 1347 und regierte von München aus seit
wurden, dehnte sich die Bebauung nach 1314 das Heilige Römische Reich Deutscher
Westen und Süden aus, planmäßig angeleg- Nation. Aus Platzgründen kann hier nicht
te Vor-Städte entstanden und mit ihnen Veredelung auf alle Straßen und ihre Namengeber ein-
neue Straßenzüge in geometrischer gegangen werden.
Führung. Die Straßennamen in diesen Mit dem Jahr 1829 begann parallel zu den
Vor-Städten tragen einen jeweils eigenen alten Namen die Veredelung, und zwar mit
thematischen Charakter. der neu angelegten Mathildenstraße nach Paul-Heyse-Straße
Ludwigs ältester Tochter Mathilde (1813–
1862), die damit im Alter von 16 Jahren Lediglich die Entstehung der Paul-Heyse-
Ludwigsvorstadt ihre eigene Straße erhielt. Dass Straßen Straße sei näher beleuchtet. Bis 1905 die
nach Lebenden benannt wurden, sollte ländliche Heustraße, war dieser Verkehrs-
Die Ludwigsvorstadt wird erstmalig am noch lange gängige Praxis bleiben. Wer es weg für etwas Besseres vorgesehen. Anfang
14. Dezember 1804 erwähnt. Benannt ist sich leisten konnte, verließ damals die des Jahres 1905 befasste sich der Magistrat
sie nach dem Kronprinzen und späteren enge, laute, unhygienische und stinkende mit der Idee, anlässlich des 75sten Ge-
König Ludwig I. (1786–1868, Ludwigstraße Altstadt und ließ sich repräsentative Ge- burtstags des Schriftstellers die Heustraße
von 1822). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bäude in der Vorstadt bauen und dafür zu veredeln und in Paul-Heyse- Straße um-
erscheint sie auf den Stadtplänen mit Be- legte man Wert auf entsprechend „gute“ zubenennen. Der hoch geehrte Heyse lebte
zug auf das benachbarte, innerhalb der Adressen. In der Ludwigsvorstadt kamen noch, und zwar von 1830 bis 1914, und
alten Befestigung liegende Hackenviertel nun hauptsächlich Geistesriesen aus Litera- sollte später, 1910, auch den Nobelpreis
noch als „Äußeres Hackenviertel“. Ihre tur und Musik zum Zug, angefangen mit der für Literatur erhalten. Insofern passte die
Grenzen lagen und liegen entlang der heu- Schillerstraße von 1860 nach dem Schrift- Umbenennung gut in diese Gegend, auch
tigen Bahnanlagen, der Theresienwiese und steller Friedrich von Schiller (1759–1805), wenn der Schriftsteller heutzutage prak-
der Lindwurmstraße, bis 1877 die Sendlin- bis dahin die Singstraße. Oder die neue tisch vergessen ist. Im Entschluss hieß es:
ger Landstraße. Der Kaiser-Ludwig-Platz Goethestraße von 1865 nach dem Schrift- „... dass diese Straße zur Zeit einen völlig
von 1886 ist der Mittelpunkt des Straßen- steller, Wissenschaftler und Politiker Wolf- inhaltlosen Namen führt, der auf die Dauer
musters. gang von Goethe (1749–1832). Im Jahr nicht beibehalten werden kann, dass der-
1886 kamen dann die Beethovenstraße selben eine besondere Verkehrsbedeutung
(Ludwig van B., 1770–1827) und die Mo- zukommt und ihr Charakter immerhin dem-
Alte Straßennamen zartstraße (Wolfgang Amadeus M., 1756– jenigen der vornehmen Herzog-Heinrich-
1791) aus dem musikalischen Bereich hin- Straße, deren Fortsetzung sie bildet,
Anfangs existierten einige wenige Straßen- zu. Die Lerchenstraße wurde 1850 zur gleichkommt, anderseits die Erwägung,
namen, die sich auf örtliche Gegebenheiten Schwanthalerstraße, die Angerstraße 1886 dass die Heustraße neben der Goethe- und
bezogen: Die Findlingstraße von 1808 auf zur Sankt-Paul-Straße, die Findlingstraße Schillerstraße die wichtigste Verbindung
das dortige Waisenhaus; Angerstraße, 1901 zur Pettenkoferstraße. Aus der südli- zwischen der Bayer- und der Pettenkofer-
Heustraße, Kleestraße, Lerchenstraße sowie chen Rennbahnstraße wurde 1901 der Ba- straße darstellt, dass dieselbe sich dem-
Singstraße, alle von vermutlich 1825, in variaring, aus ihrem nördlichen Teil 1909 nach eben wegen dieser Nachbarschaft in
Hinsicht auf die Theresienwiese mit ihren die Martin-Greif-Straße und die Kleestraße hervorragendem Maße dazu eignet, künftig
Singvögeln. Weiterhin die Landwehrstraße heißt seit 1905 Hermann-Lingg-Straße. den Namen eines Dichters zu tragen, der
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