Page 24 - Taxikurier April 2024
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zeugs ein Schadensersatzanspruch aus § 7 StVG zu, da das Fahr- Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Mai 2021 kam es
zeug der Klägerin „bei dem Betrieb” des Müllabfuhrfahrzeugs be- auf einer Kreuzung im Saarland zu einem Verkehrsunfall zwischen
schädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten einem Pkw und einem Motorrad. Die Pkw-Fahrerin wollte nach
Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, links abbiegen. Zur gleichen Zeit beabsichtigte eine entgegenkom-
ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen. Bei der mende Fahrzeugführerin aus ihrer Sicht ebenfalls nach links ab-
Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das Berufungsge- zubiegen. Dieses Fahrzeug wurde vom Motorradfahrer rechts über-
richt zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen holt. Um eine Kollision mit der Pkw-Fahrerin zu vermeiden,
§ 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahr- bremste der Motorradfahrer und rutschte in den Pkw hinein.
zeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf Die Fahrerin klagte schließlich gegen Motorradfahrer und dessen
den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für Haftpflichtversicherung auf Zahlung von Schadensersatz.
ihn - hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben –
erkennbar gewesen wäre.
Amtsgericht wies Schadensersatzklage ab
Nicht uneingeschränkt auf verkehrsgerechtes Das Amtsgericht Saarbrücken wies die Schadensersatzklage ab.
Verhalten vertrauen Seiner Auffassung nach hafte die Klägerin allein für die Unfallfol-
gen, da sie ihre Sorgfaltspflicht aus § 9 Abs. 3 StVO missachtet
Allerdings ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch der habe, indem sie den Beklagten nicht habe durchfahren lassen. Ge-
Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen gen diese Entscheidung richtete sich die Berufung der Klägerin.
die Straßenverkehrsordnung vorzuwerfen. Wer an einem Müllab-
fuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher
nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Landgericht verneint ebenfalls Schadensersatzanspruch
Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker
plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und Das Landgericht Saarbrücken bestätigte die Entscheidung des Amts-
unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor gerichts. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Schadensersatz zu.
sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese typischerweise Sie habe den Unfall wegen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 3 StVO
mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren allein verursacht. Dafür spreche der Beweis des ersten Anscheins.
hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten ein-
zurichten. Lässt sich ein ausreichender Seitenabstand zum Müll-
abfuhrfahrzeug, durch den die Gefährdung eines plötzlich vor oder Keine Erschütterung des Anscheinsbeweis
hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortretenden Müllwerkers ver- wegen Sichtbehinderung
mieden werden kann, nicht einhalten, so ist die Geschwindigkeit
gemäß § 1, § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO so weit zu drosseln, dass der Zwar könne der Anscheinsbeweis erschüttert werden, so das Land-
Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen brin- gericht, wenn der Vorfahrtsberechtigte bei Beginn des Abbiegevor-
gen kann. Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Beru- gangs für den Wartepflichtigen noch nicht sichtbar war. So lag der
fungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fall hier aber nicht. Die Klägerin habe den Beklagten aufgrund
Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum einer Sichtbehinderung durch das ebenfalls abbiegende Fahrzeug
Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h nicht erkennen können. Dieser Fall sei nicht geeignet, den An-
zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum scheinsbeweis zu erschüttern. Ist die Sicht auf den entgegenkom-
Stehen hätte bringen können. menden Verkehr ganz oder teilweise behindert, bestehe für den
Abbiegenden eine gesteigerte Sorgfaltspflicht. Die Klägerin hätte
(Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.12.2023 – VI ZR 77 ⁄ 23) sich langsam in den Kreuzungsbereich hineintasten müssen und
hätte nicht darauf vertrauen dürfen, dass kein entgegenkommen-
der Verkehr vorhanden ist.
Linksabbieger darf bei Sichtbehinderung nur unter
besonderer Vorsicht Gegenverkehr kreuzen
Kein Überholen bei unklarer Verkehrslage
Geradeausverkehr darf links abbiegende Fahrzeuge Dem Beklagten sei nach Ansicht des Landgerichts kein Überholen
rechts überholen bei unklarer Verkehrslage gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO anzulasten.
Es habe für den Beklagten keinen Grund gegeben, nicht darauf
Ist für einen Linksabbieger die Sicht auf den Gegenverkehr durch vertrauen zu dürfen, dass sein Vorrecht als Geradeausverkehr von
ein anderes Fahrzeug behindert, so darf er nur unter besonderer abbiegewilligen kreuzenden Fahrzeugführern beachtet würde. Das
Vorsicht den Gegenverkehr kreuzen. Zudem dürfen links abbiegen- links abbiegende Fahrzeug habe rechts überholt werden dürfen.
de Fahrzeug rechts überholt werden. Dies hat das Landgericht
Saarbrücken entschieden. (Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 10.11.2023 – 13 S 33 ⁄ 23)
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